Im Gespräch

"Als Historiker bin ich eben auch Detektiv". Michael Kerbler spricht mit Tom Segev, Historiker und Journalist

Tom Segev ist Historiker und gilt als einer der bekanntesten Journalisten Israels. Fünf Jahre nach dem Tod von Simon Wiesenthal legt der in Jerusalem geborene Schriftsteller die erste Biographie jenes Mannes vor, der als so genannter Nazi-Jäger bezeichnet wurde, "sein Leben lang aber - so Tom Segev - ein Verfolgter blieb". Faktum ist, dass Wiesenthal, der die Jahre von 1941 bis 1945 in mehreren KZ- Lagern interniert war, unmittelbar nach seiner Befreiung den Amerikanern eine Liste mit 91 Namen von Naziverbrechern übergab. Die Suche nach Naziverbrechern sollte zur Lebensaufgabe Wiesenthals werden.
Dem Historiker Segev war es möglich, als erster und bisher einziger Zugang zu Wiesenthals persönlichen Dokumenten zu bekommen. Wiesenthals Archiv ist weder geordnet, noch indiziert. "Hundertausende von Briefen, Zeitungsausschnitten und Notizen liegen unberührt in seiner kleinen Wiener Wohnung, so als hätte er noch gestern darin gearbeitet", so Segev. Dem Journalisten ist es gelungen, in Verschlussmaterial des israelischen Geheimdienstes Mossad, aber auch in Dokumente des Kreisky-Archivs Einblick zu nehmen. Segev beschreibt in seiner Biographie Wiesenthal als Zionismus-Kritiker. Dieser habe im Jahr 1946 den Köpfen der zionistischen Bewegung vorgeworfen, zu wenig während des NS-Regimes unternommen zu haben, um Juden zu retten. "Wir könnten auch einen Nürnberger Prozess gebrauchen, um all jene anzuklagen, die ihre Pflicht nicht erfüllt haben, uns gegenüber, unseren Familien gegenüber und dem jüdischen Volk, sagte Wiesenthal damals beim Zionistenkongress in Basel zu einem Freund.
Erstmals steht ein Mann im Mittelpunkt eines Buches, das Tom Segev verfasst hat und das in den vergangenen Tagen für sehr viel Aufmerksamkeit, Diskussionen und Kontroversen gesorgt hat: die Simon Wiesenthal-Biographie.
Tom Segev, zwei Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Sohn deutscher Einwanderer in Jerusalem geboren, gehört als Kolumnist der liberalen Tageszeitung "Haaretz" zu den herausragenden Publizisten Israels. Seit seinem Buch "Die siebte Million - der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung", in dem er den Umgang der Israelis mit dem Holocaust und seinen überlebenden Opfern analysiert, gilt Segev als bekanntester Vertreter einer "neuen Geschichtsschreibung" in Israel. Dieses Buch und "Es war einmal Palästina - Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels" haben Tom Segev weltweite Beachtung gebracht. Ausschlaggebend dafür war wohl auch die penible Recherche, die manche Neubewertung geschichtlicher Entwicklungen erzwang, wie etwa im letztgenannten Buch die - fälschliche - Annahme einer grundsätzlich pro-arabischen Haltung der damaligen Mandatsmacht Großbritannien.

Service

Buch-Tipps
Tom Segev, "Simon Wiesenthal - eine Biographie", Siedler Verlag, München

Tom Segev, "Es war einmal Palästina - Juden und Araber vor der Staatsgründung Israels", Pantheon, München

Shlomo Sand, "Die Erfindung des jüdischen Volkes - Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand", Propyläen, Berlin

Micha Brumlik, "Kritik des Zionismus", Europäische Verlagsanstalt, Hamburg


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