Gedanken für den Tag

"Was die Welt im Innersten zusammenhält" - Gedanken zum Welternährungstag von Michael Chalupka

Michael Chalupka ist evangelischer Pfarrer und Direktor der Diakonie Österreich.

Eine Milliarde Menschen hungern. Ihnen fehlen Kohlehydrate, Eiweiße und Fette, die der menschliche Körper zum Überleben braucht. Doch es geht beim Nachdenken über Welternährung um weit mehr als um die ausreichende Zufuhr von Nährstoffen. Es geht um die Frage, was in unsere Kochtöpfe, auf unsere Teller und in unsere Mägen kommt. Es geht um die Herstellung und Verteilung von Lebens-Mitteln. Es geht um Ess-Gemeinschaft und Gastfreundschaft. Es geht um Sozial- und Biomärkte, um Suppenküchen und Gourmettempel.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Die Suppe und ein bisschen mehr

"Die Suppe und ein bisschen mehr segne Gott der Herr!" Das ist das kürzeste Tischgebet, das ich kenne. Ich habe es bei einer burgenländischen Hochzeit von einem katholischen Kollegen gehört. "Die Suppe und ein bisschen mehr segne Gott der Herr!" Wer burgenländische Hochzeiten kennt, weiß, dass das, was auf Gebet und Suppe folgte, viel mehr als ein bisschen mehr gewesen sein muss.
 
Das "Mehr" ist entscheidend. Essen ist mehr als ausreichend Kalorien zu sich zu nehmen. Burgenländische Hochzeiten sind ein gutes Beispiel dafür. Das Essen beginnt mit den Vorbereitungen, schon Tage vor der Hochzeit. An der Hochzeitstafel folgt das Essen einer ausgeklügelten Dramaturgie, bis schließlich alle satt und schwer den Heimweg antreten - reichlich beschenkt mit einem "Bschoarpackerl", um davon auch noch in den nächsten Tagen zu naschen.
 
Essen ist mehr als Nahrung zu sich zu nehmen. Essen verbindet. Essen verbindet mit der Welt, mit Pflanzen und Tieren. Im Akt des Zubereitens und Essens verleiben wir uns die Welt ein, verwandeln die Welt, eignen uns die Welt an. Das kann mehr oder weniger kunstfertig geschehen, ist aber immer auch Ausdruck von Kultur. Essen verbindet. Essen verbindet uns mit den Menschen, die unsere Nahrungsmittel hergestellt haben, und mit den Menschen, mit denen wir beim Essen und Trinken ins Gespräch kommen. Und Essen verbindet mit dem Himmel. Essen ist Teil religiöser Rituale.
 
Am kommenden Samstag wird international der Welternährungstag - auch "Welthungertag" genannt - begangen. Ein Tag, an dem es - wie es scheint - nicht um das Mehr geht, sondern um das zu Wenig: Um den Mangel an Lebensmitteln und um den Hunger, unter dem nahezu einen Milliarde Menschen leiden. Und doch geht es auch um das Mehr: Ein Mehr an beziehungsreichem und selbstbestimmtem Leben, das den Menschen, die Hunger leiden müssen, vorenthalten wird. Weltaneignung, Gemeinschaft und Zwiegespräch mit dem Himmel - wie auch immer man sich diesen vorstellt - die sich im Essen ereignen, werden begraben im bohrenden Schmerz des Hungers.
Und gerade deshalb dürfen die Suppenschüsseln nicht leer bleiben.

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