Gedanken für den Tag

von August Schmölzer und Rudolf Egger. "Herzensbildung oder Die Kunst, sich im anderen wiederzuerkennen"

Gerade in Zeiten schrumpfender Wohlfahrt immunisieren sich weite Kreise unserer Gesellschaft immer stärker gegen die Folgen ihres Handelns. Individuell wird mit Zähnen und Klauen der nach wie vor ausschweifende konsumistische Lebensstil verteidigt. Wenn wir aber nach den Kosten dafür gefragt werden, geht uns das plötzlich alles nichts mehr an, sind wir ahnungslos oder über "die Politik" verärgert. So treibt die Gesellschaft weiter auseinander, denn das Gesellschaftliche kann ohne Formen des Gemeinsamen, des Engagements, nicht existieren.

Der Erziehungswissenschafter Rudolf Egger und der bekannte Schauspieler August Schmölzer denken darüber nach, wie Formen der Herzensbildung heute Möglichkeiten für ein Umdenken und Umlernen im Alltag schaffen können, um sich im anderen wiederzuerkennen.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

In unserer Stadt Graz ist seit einiger Zeit das Betteln verboten, weil hier, so die Meinung, eine organisierte Minderheit das Gemeinwohl und deren Ruhe stört. Menschen in Kauflaune werden dadurch verunsichert und schaden dadurch der Wirtschaft. Vielleicht werden die Menschen durch die Bettlerinnen und Bettler aber auch an ihre eigene Verwundbarkeit erinnert, an ihre Ur-Verletzung, in dem man erkennt und anerkennen muss, dass man selbst auch irgendwo, vielleicht tief drinnen, zu den Verletzbaren, den Bedürftigen gehört. Dass man irgendwann vielleicht selbst für den Staat oder für die Mitmenschen zum Fall wird, der weggesperrt und ausgeblendet werden muss. Heutige Hilfsempfänger müssen so tun, als hätten sie keine Wunden, dabei wird von ihnen durchaus die Demut des Nehmenden erwartet. Der mündige Bittsteller, wie ihn sich unsere Gesellschaft vorstellt, muss unaufdringlich sein, aber doch elend genug, damit wir ihm ein Almosen geben.

Ich finde, da ist schon wieder ein sogenannter alter Begriff zu hinterfragen, nämlich der der Barmherzigkeit. Reicht es denn, zu fragen, warum jemand in Not ist? Und ist es denn immer nötig zu überlegen, wie der zu sein hat, damit ich etwas von mir hergebe? Liegt es nicht vielmehr am Erkennen der Situation und des Elends und meiner spontanen Bereitschaft, dieses anzuerkennen und zu helfen? Ich glaube, das ist etwas, was wir verloren haben, indem wir unsere Besitztümer verteidigen und erst danach fragen, ob der andere wohl bedürftig genug ist, unseres Almosens Wert zu sein? Gerade aber diese unmittelbare Fähigkeit, auf Not zu reagieren, empfinde ich als Herzensbildung.

Service

Gustl58

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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 110914 Gedanken für den Tag / Rudolf Egger und August Schmölzer
Länge: 03:49 min

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