Gedanken für den Tag

von Konrad Holzer. "Entfremdung oder Annäherung" - Sehnsucht und Mystik in der Literatur

Der deutsche Dichter Martin Walser sprach anlässlich der Präsentation seines neuesten Romans "Muttersohn" darüber, dass Religion und Literatur in den Anfängen eins gewesen seien, sich dann entfremdet hätten, er mit seinem Roman aber hoffe, die beiden wenigstens ein paar Millimeter einander wieder näher zu bringen. Der Publizist Konrad Holzer, Literaturliebhaber und -Experte, geht der Frage nach, wie's die zeitgenössische Dichtung denn überhaupt so mit der Religion hält. Es fällt nämlich auf, dass sich - nach langer Enthaltsamkeit - Autorinnen und Autoren wieder mehr und mehr mit Religiösem auseinandersetzen und zwar auch solche, die sich selbst als areligiös bezeichnen.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

In der amerikanischen Literatur war die Religion nie abwesend. Sie spielte und spielt dort noch immer eine Rolle. Auch bei John Updike, meinem Lieblingsautor. Von keinem anderen habe ich so viele Bücher gelesen wie von ihm. Er ist vor zweieinhalb Jahren gestorben. Über dem Bestreben, mit seiner Kunst der Endlichkeit zu entkommen, wusste er aber ganz genau, dass er mit ihr das Vergehen nur verlangsamen wird können. Wie auch immer, noch werden seine Bücher ja gelesen. "Sucht mein Angesicht" zum Beispiel, in dem zwei Frauen über Sex, Kunst und Religion reden: "Ich erinnere mich vor allem an das Licht und an das Schweigen, all die Erwachsenen, die darauf warteten, dass Gott durch einen in der Versammlung zu ihnen sprach. Es war, als ob ein Engel vorüberginge. Irgendwann redete dann aber doch jemand. Das war abgesprochen. Die Quäker trafen genaue Absprachen, ließen Gott aber sozusagen den Spielraum, die Absprachen über den Haufen zu werfen. Das Ganze war von einer ausgeklügelten Höflichkeit."

Keiner konnte wie Updike die Menschen seiner Generation so menschlich beschreiben. In seinen letzten Erzählungen wendet er sich überraschend dem Hinduismus zu. In der einen beschreibt er eine Gruppe Reisender, die durch den Süden Indiens geführt werden. Dort erfahren sie von der Reiseleiterin nicht nur, wie Saris gewickelt werden, sondern auch einiges über Hinduismus: "Er lässt das Leben in seiner ganzen Fülle zu, während der Buddhismus Verzicht und inneres Losgelöstsein lehrt. Der Hinduismus ist die älteste der Religionen und wird immer noch weithin praktiziert, und er ist auch die modernste, insofern ihm nichts fremd ist. Es gibt keine Hindu-Ungläubigen. Selbst unsere Teilchenphysiker und Computerprogrammierer sind gute Hindus."

Service

Buch, Wolfgang Frühwald, Das Gedächtnis der Frömmigkeit, Verlag der Weltreligionen
Buch, Dieter Wellershoff, Der Himmel ist kein Ort, Kiepenheuer & Witsch
Buch, Hanna Orstavik, Die Pastorin, DVA
Buch, Meir Shalev, Aller Anfang, Diogenes
Buch, John Updike, Sucht mein Angesicht, rororo
Buch, John Updike, Die Tränen meines Vaters, Rowohlt
Buch, Julian Barnes, Nichts, was man fürchten müsste, Kiepenheuer & Witsch
Buch, José Saramago, Kain, Hoffmann und Campe
Buch, Martin Walse, Muttersohn, Rowohlt

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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 110929 Gedanken für den Tag / Konrad Holzer
Länge: 03:48 min

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