Im Gespräch

"Literatur macht sich die Gesetze selbst, die sie befolgt." Michael Kerbler spricht mit Michael Köhlmeier, Schriftsteller

Wer ist ein Schriftsteller? Einer, der vom Schreiben leben kann, oder einer der vom Leben schreiben muss? Warum schreiben Schriftsteller? Weil sie Georg Büchners Frage endgültig beantworten wollen? Die Frage, die da lautet: "Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt?"

Ingeborg Bachmann notierte einst: "Wir müssen wahre Sätze finden". Meinte sie damit, dass Schriftstellerinnen und Schriftsteller Schreiben als Wahrheitssuche oder gar als Vehikel zur Wahrheitsfindung begreifen? Literatur, sagte Doron Rabinovici in seiner Rede zur Verleihung des Anton-Wildgans-Preises im vergangenen Jahr, Literatur weiß um die Sprengsätze der Geschichte, aber sie kann auch die Zündler der Gegenwart benennen. An den Worten erkennt sie die Brandstifter. Sie weiß von den Verbrechen der Vergangenheit, vergisst aber nicht jene, die heute zu Opfern von Krieg und Folter werden, die hier Zuflucht suchen und auf Argwohn stoßen. Sie fragt, was war, um auszusagen, wie es gewesen sein wird."

Womit die Frage gestellt ist, ob Literatur - indem sie der Wahrheit zur Sprache verhilft - per se "widerständig" ist, weil sie enthüllt. Nicht das Sichtbare widergibt, sondern sichtbar macht.
Für den Schriftsteller Michael Köhlmeier gibt es keinen Zweifel: "Literatur steht in keinem und zwar in gar keinem Interesse von irgendwas oder irgendwem! Im Gegenteil: dort wo sich Literatur in den Dienst einer, außerhalb von ihr liegenden Sache stellt, wird sie schlecht. Warum? Weil sie sich einer Hierarchie von Wesentlichem und Unwesentlichem unterwirft, die nicht nach ästhetischen Kriterien gebaut wurde. Wie Brecht sagte: In Zeiten wie diesen kann ein Gedicht über Bäume ein Verbrechen sein. Dann ist es besser, man schreibt gar kein Gedicht. Auch die "Widerständigkeit" ist ein fremdes Interesse. Heraus kommen bierernst biedere, korrekte Texte, die von zweitklassigen Reportagen bereits überholt werden.

Literatur ist in ihrer Bedeutung tautologisch, das heißt, sie macht sich die Gesetze selbst, die sie befolgt. Es gibt keine über ihr stehende Instanz. Die "Widerständigkeit" aber wäre so eine Instanz. Es fällt dem Schriftsteller in mir manchmal schwer, dem empörten Bürger in mir nicht nachzugeben, aber immer, wenn ich Literatur geschrieben habe, die ich in irgendeinen Dienst zu stellen beabsichtigte, habe ich mich hinterher geschämt - weil sie so schlecht geworden ist."

Unser Gespräch an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, das vor einer Woche vor vollem Haus stattfand, begann beim Einleitungssatz von Michael Köhlmeiers Grundsatz-Statement: ""Literatur steht in keinem und zwar in gar keinem Interesse von irgendwas oder irgendwem! Im Gegenteil: dort wo sich Literatur in den Dienst einer, außerhalb von ihr liegenden Sache stellt, wird sie schlecht."

Service

Michael Köhlmeier, "Abendland", Hanser Verlag, München

Michael Köhlmeier, "Madalyn", Hanser Verlag, München

Michael Köhlmeier, "Das Sonntagskind. Märchen und Sagen aus Österreich", Deuticke Verlag, 2011

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