Gedanken für den Tag

Von Konstanze Fliedl. "Dichte Diagnosen" - Zum 150. Geburtstag Arthur Schnitzlers. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Seine Befunde zur Gesellschaft der späten Habsburgermonarchie und der Ersten Republik hat Arthur Schnitzler in einer sehr speziellen Handschrift festgehalten. Hellhörig hat er die Rhetorik von Liebe und Politik aufgezeichnet, die Vermarktung von Körper und Psyche dargestellt. Gegenüber den Lügen im Öffentlichen und im Privaten blieb er bei der Überzeugung von der Verantwortung für das Wort. Darin besteht die Aktualität von Schnitzlers Werk bis heute.

Schnitzlers Dauer

Als Arthur Schnitzler im Jahr 1907 vom Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu einem "Stimmporträt" eingeladen wurde, wählte er folgendes Zitat: "Lebendige Stunden? Sie leben doch nicht länger, als der Letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihen über ihre Zeit hinaus". Im Original klingt das - in damaliger Tonqualität - so: "Es ist nicht der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihen über ihre Zeit hinaus". Schnitzler würdigte damit natürlich auch den Tontechniker, der seiner Stimme Dauer verlieh - aber in eigener Sache sprach er für den Autor. Dass diese Sätze in seinem Einakter "Lebendige Stunden" einem Schriftsteller in den Mund gelegt sind, der menschlich keineswegs einwandfrei ist, bestätigt nur den Anspruch des Berufs. Schnitzler, der als Vertreter des flüchtigen Impressionismus gilt, war gegen Ende seines Lebens fasziniert von der Möglichkeit, Erfahrungen Dauer zu geben. Er selbst war ein Erinnerungskünstler: Sein über ein halbes Jahrhundert lang geführtes Tagebuch war Chronik, Gedächtnisstütze und Memento. Es verzeichnet viele Orte, an die Schnitzler immer wieder zurückkehrte, an denen sich gleichsam Schichten individueller Erinnerung ablagerten. Das Gedächtnis braucht solche Orte, auch das kollektive. Für Schnitzler, der die Straßen und Gassen Wiens in seinem Werk verewigt hat, gibt es aber noch keine Wiener Straße, keinen Platz der Erinnerung. Dort könnte sich aber materialisieren, was in jeder Lektüre oder Aufführung seiner Werke stattfindet: die Vergegenwärtigung eines Autors, der sein Schreiben als Erinnerungspflicht verstand. Schnitzler hat sich durchaus gewünscht, dass neben seinem Werk auch sein Tagebuch erhalten bleiben sollte: "Als könnt es mich von der quälenden innern Einsamkeit befreien, wenn ich - jenseits meines Grabs Freunde wüsste."

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Titel: GFT 120514 Gedanken für den Tag / Konstanze Fliedl
Länge: 03:49 min

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