Gedanken für den Tag

Von Ingo Pertramer. "Mehr als äußerer Schein". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Er hasse nichts mehr "als Menschen, die Fotos interpretieren", hat der österreichische Fotograf Ingo Pertramer einmal in einem Interview gesagt. Denn ein Bild müsse für sich sprechen.

Pertramer gilt als einer der bedeutendsten in Österreich aktiven Porträtfotografen und wird von internationalen Bands heute ebenso gebucht wie von Schauspielern und Kabarettisten. Seine Bilder sprechen eine eigene Sprache, sind unverwechselbar und zeigen von den Porträtierten viel mehr als nur den äußeren Schein.

In den "Gedanken für den Tag" spricht Ingo Pertramer über seinen Blick auf die Menschen, die er fotografiert, über Ehrlichkeit und Vertrauen in der Beziehung zwischen Fotograf und Porträtierten.

Das Auge

Man sagt immer, ein Fotograf muss ein gutes Auge haben. Wenn ich Porträts mache, ist für mich aber das Auge des Gegenübers mindestens genauso wichtig. Es ist, wie wenn wir beide durch eine Klopapierrolle hindurchsehen würden: In der Mitte treffen einander die Blicke. Ich konzentriere mich als Fotograf immer auf die Augen. Aber eine Bedingung habe ich: Die Augen müssen immer scharf sein, denn das Auge ist der verräterischste Körperteil. Es erzählt, was und wie jemand fühlt. Wenn einem etwas unangenehm ist, fokussiert man nicht, man ist nicht bei der Sache, weil man nicht bei der Sache sein will. Man kann mit den Augen auch kaum lügen oder etwas vortäuschen.

Wenn also jemand angenehm wirken will, sage ich ihm nicht: "Lach ein bisschen", das hasse ich als Foto-Anweisung. Ich sage lieber: "Lächle mit den Augen". Das Lachen ist nämlich fast immer gekünstelt, weil man auf Kommando immer falsch lacht. Sogar richtige Schauspieler kriegen das kaum hin, denn sogar denen ist es meistens extrem unangenehm, fotografiert zu werden. Die meisten Leute, die ich kenne, sagen: "Ich hasse es, fotografiert zu werden. Das ist schlimmer als beim Zahnarzt." Sogar die größten Stars, die eigentlich ja in Aufmerksamkeit baden und sich im Glamour sonnen, hassen es, geblitzt zu werden.

Vielleicht liegt das auch daran, dass man sich so meistens selbst nicht gefällt. Und warum gefällt man sich nicht? Weil man durch die Kamera plötzlich auf Augen sieht, die untrüglich zeigen, dass man in dem Moment nichts wie weg wollte, dass man genervt war, dass man gute Laune vorgegaukelt hat, oder an das Unglück einer Beziehung denkt, aus der man sich nicht befreien kann. Wenn es einem aber gut geht, sind die Augen klar, fangen an zu glitzern, fokussieren - und das Foto wird gut. Aristoteles brachte es auf den Punkt:

"Ändert sich der Zustand der Seele, so ändert dies auch das Aussehen des Körpers und umgekehrt; ändert sich das Aussehen des Körpers, so ändert dies zugleich auch den Zustand der Seele."

Service

Ingo Pertramer

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Sendereihe

Playlist

Titel: GFT 120604 Gedanken für den Tag / Ingo Pertramer
Länge: 03:47 min

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