Radiokolleg - Die wichtigste Nebensache der Welt

Sex und modernes Leben (4). Gestaltung: Sabine Nikolay

Eine alte Geschichte: ein Mann sieht eine Frau und wird von Begehren zu ihr erfüllt. Er erobert sie, verbringt ein paar erfüllende Stunden mit ihr - und zieht weiter. Die Frau bleibt enttäuscht zurück.
Eine alte Geschichte: Eine Frau trifft einen Mann. Er umgarnt sie, flirtet mit ihr, bis sie schließlich einwilligt. Sie gibt sich ihm hin, verliebt sich - und wird verlassen.
Die Literaturgeschichte ist voll von diesen Geschichten - ebenso wie psychotherapeutische und psychoanalytische Praxen.
Oder diese Geschichte: Ein Mann und eine Frau verlieben sich, ziehen zusammen, bekommen Kinder. Nach wenigen Jahren ist das sexuelle Interesse aneinander erloschen. Traditionell gingen Männer in solchen Situationen fremd - heute tun dies auch oft die Frauen.
Sexuelle Anziehung, Lust und Begehren beeinflussen unser tägliches Leben in weitaus größerem Maße, als uns bewusst ist - oder als wir zugeben. Dabei gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede, die mit unserer Herkunft als Primaten mehr zu tun haben, als mit unserem Leben in einer aufgeklärten Gesellschaft.
Warum müssen Männer imponieren und sich untereinander durch Höchstleistungen in den Schatten stellen? Warum legen Mädchen und Frauen so großen Wert auf ein anziehendes Äußeres?
Warum gibt es heute mehr und explizitere Pornographie als je zuvor, wo wir doch angeblich so liberal und aufgeklärt sind? Wozu dienen Tabus? Welchen Nutzen haben sie in der Gesellschaft? Und warum verdrängen wir die Sexualität immer noch in die Graubereiche der sozialen Gemeinschaft, wo wir doch alles zu wissen glauben?
Die Antwort ist wohl nur in der Beantwortung einer grundsätzlichen Frage zu finden, die selten gestellt wird: Was bedeutet Sexualität für den einzelnen Menschen? Wie wird sie bereits in frühester Kindheit vorbestimmt und geprägt? Und wie können wir gravierende Fehler vermeiden - um damit nicht uns selbst und die Menschen die wir lieben ins Unglück zu stürzen? Denn Sexualität ist eine Metapher für die gesamte Gefühlspalette, die dem Menschen zur Verfügung steht: Zärtlichkeit, Respekt, Nähe und Fürsorge ebenso wie Grausamkeit, Unterwerfung, Abhängigkeit, Suchtverhalten und Kontrollverlust. Gleichzeitig ist die Sexualität jene Tätigkeit, bei der wir diese Gefühle am intensivsten erleben können. Nicht umsonst heißt es: "Als Ersatz für die verlorene Kindheit entdeckt der Mensch die Sexualität."

Service

Literarische Werke:

Ela Angerer (Hg.), Porno, Czernin 2011

Thomas Bernhard, Die Ehehölle, Suhrkampt tb 2008

Franzobel, Luna Park, Edition Brandstetter, 2008

El James, Shades Of Grey, Goldmann 2012

Julya Rabinowich, Die Erdfresserin, Deuticke 2012

Charlotte Roche, Schoßgebete, Piper 2011

D. A. F. Marquis de Sade, Ausgewählte Werke, Melzer Verlag 2006

Monyama, Tiger In High Heels, Lotus Press 2010


Fachliteratur:

Josef Breuer, Sigmund Freud, Studien über Hysterie, Fischer tb, 4. Aufl. 2000

Michel Foucault, Der Wille zum Wissen, suhrkamp tb, 11. Auflage 1999

Sigmund Freud, Das Ich und das Es, Fischer tb., ohne Auflagenangabe, Mai 1993

Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, Fischer tb, 2. Aufl. 2010

Sigmund Freud, Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Fischer tb, 9. Aufl. 2007

Sigmund Freud, Totem und Tabu, Fischer tb, 11. Aufl. 2011

Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, Ullstein 1983

Pierre Klossowski, Die lebende Münze, Kadmos 1998

Sven Lewandowski, Die Pornographie der Gesellschaft, transcript 2012

Allan und Barbara Pease, Warum Männer immer Sex wollen und Frauen von der
Liebe träumen, Ullstein 2009

Wilhelm Reich, Die sexuelle Revolution, Fischer tb, 4. Auflage, 1974

Wilhelm Reich, Die Entdeckung des Orgons, Fischer tb, 4. Auflage, 1975

Gerti Senger, Walter Hoffmann, Urkraft Sex, Ueberreuter 2012

Sendereihe