Zwischenruf

von Bischof Michael Bünker (Wien)

Ich nehme nicht an, dass jemand Jacintha Saldanha gekannt hat. Jacintha Saldanha war Krankenschwester in London, am King Edward Hospital. Mit ihrem Mann war sie aus Indien nach Großbritannien zugewandert und hatte sich eine bescheidene Existenz aufgebaut. Jacintha Saldanha hatte es als Migrantin geschafft, Beruf, Familie mit zwei Töchtern und ein kleines Reihenhaus, allerdings 190 Kilometer von London entfernt, also der Alltag mit allerhand Mühe verbunden. Am 4. Dezember hatte Jacintha Dienst im Krankenhaus. Da bekam sie einen Anruf und war verblüfft, dass sich die beiden Anrufenden als Queen Elisabeth und Prinz Charles vorstellten. Sie erkundigten sich nach dem Befinden von Kate, der Herzogin von Cambridge, Frau von Prinz William, die sich im Krankenhaus als Patientin aufhielt. Bereitwillig und wohl auch etwas verwirrt, was ja verständlich ist, stellte Jacintha den Anruf auf die Station durch. Ein verhängnisvoller Fehler. Was sie nicht wusste und nicht wissen konnte: Der Anruf kam nicht vom Buckingham Palace. Es war ein Scherzanruf, den zwei Moderatoren des australischen Radiosenders 2Day FM durchgeführt hatten. Solche Scherze gehören zum regelmäßigen Morgenprogramm des Senders und diesmal hatte man sich etwas ganz Besonderes ausgedacht, um die Abschirmung der prominenten Patientin zu durchbrechen. Ein voller Erfolg - für den Sender.

Nicht so für Jacintha. Drei Tage später war sie tot, sie hatte sich erhängt. Mit drei Abschiedsbriefen begründete sie ihre Verzweiflungstat. Mehr noch als ihre Angst, aufgrund des Missverständnisses womöglich ihre Arbeit zu verlieren, eine unbegründete Angst, wie das Krankenhaus versichert, mehr noch als das trieb sie die Scham darüber, nun weltweit in aller Öffentlichkeit zum Gespött geworden zu sein, in den Tod. Große Bestürzung bei den beiden Moderatoren und den Verantwortlichen des australischen Senders. Damit hatte doch niemand rechnen können! Nein, offenkundig hatte man damit nicht gerechnet, dass hier zwei Kulturen aufeinanderprallen. Einmal die ungezügelte und ungenierte Spaßgesellschaft und auf der anderen Seite eine Lebensweise, in der altmodische Tugenden wie Anstand und Vertrauen, Scham und Ehre gelten.

Der vermeintliche Scherzanruf aus Australien ist mittlerweile keine Ausnahme. Längst hat sich vor allem in den Privatsendern, Radio wie Fernsehen, eine Verulkungskultur breitgemacht, mit der offenkundig gutes Geld verdient wird. Kaum ein Sender, der darauf verzichten will. Versteckte Kameras und Mikrophone, getürkte Anrufe, reale Pannenshows und inszenierte Stresssituationen, die Fantasie hat da schon ein ganzes Spektrum unter der Maxime "Spaß ist erlaubt, das muss man doch verstehen!" entfaltet.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Mir geht es nicht darum, als moralisierender Spaßverderber aufzutreten. Mit geht es darum, dass dabei die Empathie, das menschliche Mitgefühl nicht auf der Strecke bleibt. Denn diese Art von Humor bedient eine Haltung, von der ich noch gelernt habe, dass sie schandbar ist, nämlich die Schadenfreude. Der australische Sender 2Day FM hat in den letzten Jahren immer wieder besonders abstoßende Beispiele dafür geliefert. Besonders wenn sich die Schadenfreude wie bei Jacintha Saldanha an den Schwachen in einer Gesellschaft, wie einer Migrantin auslebt, ist das schlicht und einfach verwerflich. Guter Humor, gute Satire und guter Scherz stellen nicht die Schwachen bloß, sondern die großen Herrschaften, denen anders nicht beizukommen ist. Der politische Witz in der Diktatur, das gesellschaftskritische Kabarett und die mutige Satire sind etwas anderes als diese Art von schadenfreudiger Verulkung, bei der Menschen schonungslos bloßgestellt werden.

Ich denke an Jesus von Nazareth, der seine mächtigen und einflussreichen Gegner mit feinem Humor aufs Glatteis führte, bloßstellte und blamierte. Ich denke an Aktionen wie die von Christoph Schlingensief, die provozierend und verstörend waren, aber niemals auf Kosten der Schwachen gegangen sind.

Geht das Empfinden für Menschlichkeit verloren? Wie gut, dass Weihnachten alle Jahre wieder daran erinnert, dass Gott in der Armeleutegeburt im Stall auf die Welt kommt. Vor dem Kind und seinen Eltern beugen sich die Knie. Menschen wie ihnen gilt aus christlicher Sicht Achtung und Respekt, Menschen wie Jacintha Saldanha.

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