Radiokolleg - Wahrheitsfindung vor Gericht

Gerechtigkeit, Mythos oder Pragmatismus? (2). Gestaltung: Sabine Nikolay

Wir alle kennen die Göttin mit den verbundenen Augen, die eine Waage in ihrer Hand hält. Sie suggeriert Sicherheit und spendet jenen, denen Unrecht widerfahren ist, Trost. Ihr Name: Justitia. Im römischen Götterhimmel personifiziert sie die Gerechtigkeit. Heute assoziieren wir mit dieser Gerechtigkeit eine höhere Instanz, die wir anrufen können, wenn uns nach subjektiver Einschätzung Unrecht widerfahren ist und wir Gerechtigkeit herstellen wollen. Doch so einfach ist es nicht. "Gerechtigkeit" stand bei den alten Griechen für die göttliche - also eine allmächtige - Gerechtigkeit, die von einem subjektiven Willen ausgeht und auf deren Kehrseite das sprichwörtliche "himmelschreiende Unrecht" steht. In der römischen Mythologie verkörperte Justitia die ausgleichende Gerechtigkeit. Sie besänftigte anstatt zu strafen. Das änderte sich im Mittelalter und wirkt bis heute nach: Justitia wird heute als strafende Gerechtigkeit angesehen - und ist die Namenspatronin der Juristerei, zu Deutsch: Rechtswissenschaft. Um Recht zu finden und Recht durchzusetzen, damit es gerecht zugeht auf der Welt, wenden sich täglich Millionen Menschen an Vertreter und Vertreterinnen der Justiz.

Doch wie ist es um die Gerechtigkeit bestellt? Um sie herzustellen, müssen Staatsanwälte und Staatsanwältinnen, Richter und Richterinnen, Anwälte, Anwältinnen, Sachverständige und Geschworene eines finden: die Wahrheit. Sie müssen Klarheit gewinnen darüber, was wirklich vorgefallen ist, wer wen geschädigt hat und wenn ja, mit welcher Absicht. Sie müssen herausfinden, ob ein Vorsatz vorlag, ob heimtückische Planung dem Verbrechen vorausging, oder ob es sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände handelt.

Die Wahrheit zu finden um Gerechtigkeit herzustellen ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Menschen sind vergesslich oder werden auf Grund von starken Emotionen geradezu blind. Sie haben Vorurteile, positive wie negative, die ihre Entscheidungsfähigkeit beeinflussen können und ihre Urteilskraft vermindern. Dazu kommt, dass wir alle in der Erinnerung unsere eigene Geschichte ständig uminterpretieren und neu schreiben. Wie die Justiz darauf reagiert, dass Menschen Fehler machen, vergessen, schwindeln, lügen, und wie tauglich diese Mittel sind, aber auch wie fehlbar die Justiz manchmal sein kann, darüber berichtet das Radiokolleg.

Service

Literaturliste:

Douwe Draaisma, Das Buch des Vergessens, Galiani Berlin, 2012
Paul Ekman, Ich weiß, dass du lügst, rororo 2011
Federal Rules of Civil Procedure, U.S. Government Printing Office, Washington 2010
Federal Rules of Evidence, U.S. Government Printing Office, Washington 2010
Wolfgang Jedlicka, Das Gericht, ein geheimnisvolles Wesen, Edition Roesner, 2012
Kaufmann, Hassemer, Neumann (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, C.F. Müller, 8. Auflage, 2011
Jack Nasher, Durchschaut, Heyne 2010
Richard Soyer, Die (ordentliche) Wiederaufnahme des Strafverfahrens, Verlag Österreich, 1998
Richard Soyer, Strafverteidigung - Ethik und Erfolg, Neuer wissenschaftlicher Verlag/Recht, 2010
Joseph Stiglitz, Preis der Ungleichheit, Siedler, 2013
Werner Tomanek, Die Zweiklassenjustiz, edition a, 2012
Paul Watzlawick, Die erfundene Wirklichkeit, Piper, 1985
Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico philosophicus, Suhrkamp, zahlreiche Auflagen

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