Gedanken für den Tag

von Brigitte Schwens-Harrant. Den Himmel suchen. Gestaltung: Alexandra Mantler

Über die Schriftstellerin Toni Morrison, die vor 20 Jahren den Nobelpreis für Literatur erhielt:

Eine Sklavin ist mit ihren kleinen Kindern auf der Flucht. Als sie die Sklavenhändler einholen, bringt sie eines ihrer Kinder um. Es soll den Menschenjägern nicht in die Hände fallen.

Die afroamerikanische Schriftstellerin Toni Morrison hat sich für ihren preisgekrönten Roman "Menschenkind", den manche für den besten amerikanischen Roman des 20. Jahrhunderts halten, von dieser historischen Begebenheit inspirieren lassen. In ihrem Roman lebt diese Mutter in Freiheit weiter.

Aber was ist das für ein Leben, für eine Freiheit, mit dem Wissen und der Erinnerung, dass man dem eigenen Kind mit der Säge die Kehle durchschnitten hat?

Das eigene Kind umzubringen, aus welchen plausiblen Gründen auch immer: Soviel Schuld ist kaum zu ertragen. Das macht Morrison im wahrsten Sinn des Wortes sichtbar. Denn noch 18 Jahre nach dem Mord spukt das tote Kind im Haus der Mutter. Es braucht jemanden von außen, damit der Frau geholfen werden kann.

In diesem Fall ist es Paul D, der einst auf derselben Farm Sklave war. Ihm kann sie endlich - zögernd und nur in Bruchstücken - erzählen, was damals geschah, grauenhafte Erfahrungen von Missbrauch und Folter. Das Zuhören und Erzählen hilft, es tut zwar weh, aber es ist dringend nötig. Es verjagt den Geist zunächst aus dem Haus.

Doch der Geist der Vergangenheit ist hartnäckig und kommt eines Tages als "Menschenkind" wieder, als Mädchen in jenem Alter, das die ermordete Tochter nun hätte. Ihre Anwesenheit macht die Mutter kaputt. Deren Problem ist: Sie will gar keine Vergebung, sie will sie verweigert haben. Und deshalb hat "Menschenkind" ein leichtes Spiel. Sie wird kräftiger, je schwächer die Mutter wird.

Auch das erzählt dieser Roman: Dass Erinnerung zwar lebensnotwendig ist, dass sie aber auch gefährlich, gefräßig, tödlich werden kann. Dann nämlich, wenn man sich selbst nicht vergibt.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Gil Evans/1912 - 1988
Album: BLUES / STANDARDS - THE CBS YEARS 1955-1985
Titel: Blues for Pablo/instr.
Solist/Solistin: Miles Davis /Trompete m.Begl.
Ausführende: Gil Evans Orchestra
Länge: 02:00 min
Label: CBS 4632462

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