Zwischenruf

von Christine Hubka (Wien)

"Kinder im Gefängnis"


Wie viele Kinder täglich im Gefängnis sind, weiß ich nicht. Nach meiner Beobachtung in der Justizanstalt Wien-Josefstadt sind es eine ganze Menge.

Sandra war im dritten Monat schwanger, als sie inhaftiert wurde. Im Gefängnis wurde ihr Bauch immer runder. Eines Abends setzten die Wehen ein. Eine Beamtin begleitete sie auf die Geburtenstation. Die Frau hat selber Kinder. Die ganze Nacht verbrachte sie neben der Gebärenden und half ihr durch die schwierigen Phasen der Geburt. Benjamin kam ohne Komplikationen zur Welt. Am nächsten Morgen zog er mit seiner Mama ins Gefängnis ein. Sie darf ihn bei sich behalten, weil ihre Strafe 3 Jahre nicht überschreitet. Sandra wird von erfahrenen Mitgefangenen und von den Beamtinnen bei der Babypflege unterstützt.

Derzeit leben die beiden mit anderen Kindern und Müttern noch in den beengten Verhältnissen des Wiener Gefängnisses. In einigen Wochen werden sie in die Justizanstalt für Frauen in Schwarzau übersiedeln, wo es bessere Luft und mehr Licht für das Kind und seine Mama gibt. Sandra kann dort arbeiten, während Benjamin in einer Krippe betreut wird. Benjamin wird seinen Aufenthalt im Gefängnis ohne Schaden überstehen. Er ist dort gut aufgehoben. Wenn er in zwei Jahren mit seiner Mama entlassen wird, ist Sandra hoffentlich stark genug, nun auch in Freiheit für ihren kleinen Sohn zu sorgen.

Andere Kinder kommen regelmäßig in die Justizanstalt Josefstadt, um ihren Papa zu besuchen. Annas Vater ist hier in Haft. Mit ihrer Mutter wartet Anna im fensterlosen, stickigen Warteraum, bis sie aufgerufen werden. Für die Erwachsenen gibt es Stühle, für die Kinder eine Spielecke. Dort steht eine riesige Holzeisenbahn. Anna klettert mit anderen Kindern darauf herum. Der Ort ist ihr nach vielen Besuchen inzwischen vertraut. Manchmal dauert es lang, bis die Wartenden aufgerufen werden. Dann dürfen sie eine halbe Stunde mit dem Papa sprechen. Ein Wiedersehen ist jede Woche möglich. Ein Wieder-Drücken, ein Wieder-Bussi-geben leider nicht. Zwischen Anna und dem Papa steht eine Glasscheibe. Sie reden über ein Zimmertelephon miteinander. Alle paar Monate darf Anna mit dem Papa an einem Tisch sitzen. Ohne Glasscheibe.

Diese Termine sind sehr begehrt und deshalb knapp. Viele Gefangenen haben das Bedürfnis, ihr Kind auch einmal in den Arm zu nehmen. Obwohl Anna erst fünf Jahre alt ist, kommt sie mit der Situation gut zurecht. Ihre Eltern haben ihr von Anfang an die Wahrheit gesagt. Der Vater hat seine Scham überwunden und vor seinem Kind zugegeben, dass er etwas Verbotenes gemacht hat. Anna weiß auch, wann der Papa wieder nach Hause kommen wird. Sie wird dann 11 Jahre alt sein. Das ist noch unvorstellbar weit weg. Aber bis dahin kann sie den Papa wenigstens einmal in der Woche sehen und mit ihm sprechen.

Jan hat es schwerer als Anna. Vor zwei Jahren ist sein Papa eines Tages nicht mehr nach Hause gekommen. Die Polizei hat ihn vom Arbeitsplatz abgeholt. Seit damals ist er in Haft. Jans Familie hat beschlossen, das Kind zu schonen, wie sie es nennen. Man hat Jan erzählt, der Papa sei krank. So krank, dass ihn niemand besuchen darf. Jan macht sich schreckliche Sorgen. Vor kurzem ist der Vater eine Schulkollegen nach langer Krankheit gestorben. Bis zuletzt hat der Freund seinen Vater besucht. "Wie schlimm muss es erst mit meinem Papa sein, wenn ich ihn nicht sehen darf", denkt Jan immer wieder. Und manchmal glaubt er, der Papa wäre schon tot. Er kann mit niemandem darüber reden, weil die Erwachsenen alle seine Fragen abwehren.

Wenn Eltern ins Gefängnis kommen, sind immer Kinder wie Benjamin, Anna und Jan mitbetroffen. Sie und ihre Familien draußen brauchen viel Unterstützung. Statt dieser bekommen sie oft Ablehnung und Verachtung zu spüren. So werden die Kinder für die Taten der Eltern mitbestraft.

Service

Buch, Christine Hubka, Die Haftfalle. Begegnungen im Gefängnis, Edition Steinbauer

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