Radiokolleg - "Vivir Bien" - Das bolivianische Modell vom "guten Leben"

Anspruch und Wirklichkeit
(4). Gestaltung: Margit Hainzl und Emil Wimmer

Im Jahr 2009, vier Jahre nach dem Erdrutschsieg von Evo Morales, bekam Bolivien eine neue Verfassung. Seit damals ist das 10 Millionen Einwohner/innen zählende Land im Herzen Südamerikas offiziell ein "Plurinationaler Staat", der Demokratie, Repräsentation, Autonomie und Wohlstand für alle Gesellschaftsgruppen garantieren will, auch der bis bis dato ausgegrenzten und unterprivilegierten indigenen Bevölkerungsmehrheit.

Verfassungsmäßig verankert wurde auch ein neues Wirtschaftsmodell, das indigene Prinzip des "Guten Lebens", das mit traditionellen, neoliberalen Entwicklungs- und Wachstumskonzepten bricht. Denn "Vivir Bien" bedeutet kein "besseres" Leben im Sinn von mehr materiellem Wohlstand für Einzelne, sondern zielt ab auf ein "gutes Leben für alle Mitglieder der Gemeinschaft", das nicht auf Kosten anderer geht und auch nicht auf Kosten der natürlichen Lebensgrundlagen.

Die bisherige Bilanz des radikalen Wandels: Im ärmsten Land des Kontinents führte die Nationalisierung der Gas- und Ölindustrie in kurzer Zeit zu einer Verdreifachung des Staatshaushalts und ermöglichte die Durchführung von Sozialprogrammen für Schwangere, Familien mit Kindern und Alte. Der Mindestlohn wurde angehoben, eine Mindestpension eingeführt, das Pro-Kopf-Einkommen stieg und auch die extreme Armut konnte halbiert werden.

Andererseits zeigen sich unterdessen auch Grenzen und Widersprüche des bolivianischen Modells des "Vivir Bien". Viele Hoffnungen und Erwartungen der Anhänger von Evo Morales haben sich nicht oder nur in geringem Umfang erfüllt. Für die Mehrheit der Bevölkerung haben sich die Lebensverhältnisse noch immer nicht dauerhaft gebessert und die zunehmende Machtkonzentration der Regierung und auch der Umgang mit den natürlichen Ressourcen stößt auf wachsenden Widerstand, der fast tagtäglich in Streiks, Protestmärschen und Straßenblockaden zum Ausdruck kommt.

Service

Robert Lessmann: "Das neue Bolivien. Evo Morales und seine demokratische Revolution". Rotpunktverlag, 2010.

Leo Gabriel und Herbert Berger (Hrsg.): "Lateinamerikas Demokratien im Umbruch". Mandelbaum Verlag, 2010.

Isabella Radhuber: "Die Macht des Landes. Der Agrardiskurs in Bolivien". Forschungen zu Lateinamerika 12. LIT Verlag, 2009.

Ulrich Brand, Isabella Radhuber, Almut Schillling Vacaflor (Hrsg.): "Plurinationale Demokratie in Bolivien". Verlag Westfälisches Dampfboot, 2012.

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V. und Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hrsg.): "Der Neue Extraktivismus -Eine Debatte über die Grenzen des Rohstoffmodells in Lateinamerika". 2012 FDCL e.V. und Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2012 kostenlos als pdf downloadbar

Verein zur Förderung internationaler Solidariät

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