Radiokolleg - Die Kassette

Kulturgut, Arbeitsmittel, Kultobjekt
(3). Gestaltung: Barbara Zeithammer

Einst war sie revolutionär, weltweit beliebt und verbreitet, wie kein Datenträger je zuvor oder danach: Die Compact Cassette. Sie machte Musik mobil und veränderte nachhaltig unsere Hörgewohnheiten. In Zeiten von MP3s und CDs verstaubt die Kassette in Schachteln und Schubladen, in den Regalen der meisten Geschäfte sucht man sie mittlerweile vergebens. 2010 hat der Elektronikkonzern Sony die Herstellung seines "Walkman" eingestellt; TDK, Maxell und Nakamichi haben die Kassette aus dem Sortiment genommen; eines der größten Kopierwerke Deutschlands hat die Maschinen abgedreht. Ist es Zeit für einen Nachruf?

Vor 50 Jahren, am 28. August 1963, präsentierte die Firma Philips auf der Internationalen Funkausstellung Berlin den ersten tragbaren Kassettenrekorder. Der "Taschen-Recorder" wurde als Diktiergerät beworben, als "sprechendes Notizbuch". Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich das Medium zur Musikkonserve schlechthin und spätestens mit der Einführung des ersten "Walkman" von Sony im Jahr 1979 war die Kassette für viele Menschen ein ständiger Begleiter im Alltag. Erstmals konnten sie sich ihre Lieblingsmusiklisten selbst zusammenstellen; Kassetten trugen musikalische Liebeserklärungen. "Hometaping is killing music" - die Reaktion der Musikindustrie war: Panik. Ton- und Technikfreund/innen konnten sich stundenlang über die Qualitäten der Rauschunterdrückung unterhalten; weltweit verschickten die "Tonbandler" selbst gestaltete akustische Briefe, und für Rundfunkjournalist/innen und Wissenschafter/innen war sie ein dankbares Arbeitsmittel: preiswert, robust, kompakt und nahezu unbegrenzt bespielbar. "Kalorienarm, cholesterinfrei, vegetarisch: Und trotzdem war der Bandsalat ein Gericht, das keinem schmeckte", so beschreibt Bodo Mrozek den Zustand eines sich in der Mechanik des Rekorders verwickelnden Magnetbandes. Im Vergleich zu CDs ist die Kassette verlässlich; aus archivarisch-technischer Sicht ist aber auch sie kein besonders stabiler Träger.

"Eine Haltung! Eine Lebenseinstellung! Revolutionär! Mag sein, dass MP3-Player dem Tape technisch überlegen sind. Aber niemand wird ein Buch darüber schreiben müssen, dass er mal MP3-Dateien oder CD-Rohlinge liebte", meinen Jan Drees und Christian Vorbau in ihrem Buch "Kassettendeck. Der Soundtrack einer Generation".

Weltweit gesehen ist die Kassette nach wie vor beliebt; auch in der hochtechnisierten Welt erhält sie eine neue Daseinsberechtigung: einige Kleinstlabels setzten heute wieder auf den "alten" Tonträger.

Service

Jan Drees, Christian Vorbau: Kassettendeck. Soundtrack einer Generation. Eichborn, 2011

Interviewpartner/innen
Wolf Harranth, Kurator im Dokumentationsarchiv Funk, Wien, Rundfunkjournalist für Radio Österreich International
Katharina Weingartner, Radiomacherin und Dokumentarfilmerin
Christian Vorbau, DJ, Musikproduzent und Buchautor
Walter Gröbchen, Musikverleger und Journalist
Thomas Mießgang, Kulturjournalist und Buchautor
Ferdinand Nemec, Tonbandler, Tonjäger und -Sammler


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