Gedanken für den Tag

Von Vladimir Vertlib, Schriftsteller. "Der Blick zurück, um nach vorne schauen zu können". Gestaltung: Alexandra Mantler

Zum Thema "Erinnern" schreibt die Schriftstellerin Renate Welsh, man müsse "unterscheiden zwischen freiwilligem Rückblick im Sinne von ,ich erinnere mich', lasse einen Film ablaufen, den ich auch stoppen, schneiden, bearbeiten, in einen familiären, gesellschaftlichen, politischen, historischen Zusammenhang stellen, erklären, beurteilen kann, und Erinnerungen hilflos ausgeliefert sein, ohne jede Möglichkeit einzugreifen, wegzuschauen, den Film zu stoppen."

Ihren Erinnerungen hilflos ausgeliefert, ohne jene Möglichkeit, den Film zu stoppen, sind zum Beispiel Menschen, die als Kinder geprügelt wurden und später ihre eigenen Kinder prügeln. Dass Schläger oft selbst Geschlagene sind, ist eine psychologische Binsenweisheit, die inzwischen fast jeder kennt.

Rechte wie linke Antisemiten empören sich allerdings schon seit Jahrzehnten darüber, dass Juden nichts aus ihrer eigenen Geschichte gelernt hätten. In judenfeindlichen Äußerungen, die als Israelkritik getarnt ist, heißt es oft, es sei erstaunlich, dass ein Staat, der zu einem großen Teil von Holocaustüberlebenden gegründet und aufgebaut wurde, Menschen aus ihrer Heimat vertrieben habe, die arabische Minderheit im eigenen Land diskriminiere oder als Besatzungsmacht agiere. Sage das nicht etwas über den Charakter der Juden aus?

In der geäußerten "Verwunderung" ist die Vorstellung enthalten, Auschwitz und andere Vernichtungslager seien Erziehungsanstalten gewesen. Wer das Grauen überlebt hätte, wäre als besserer Mensch daraus hervorgegangen. Doch die KZ hatten keinen anderen Sinn, als Menschen zu vernichten. Die Überlebenden waren nicht nur traumatisiert, sondern oft auch wütend, verhärtet und emotionell gebrochen. Unter den Verletzungen der Opfer haben auch die folgenden Generationen zu leiden.

Wer aber mit klarem Blick und bewusst zurück schaut, lernt, die Erinnerung zu ertragen, und kann die Zukunft in einer Weise gestalten, dass das positive Erleben trotzdem im Vordergrund steht.

Service

Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Pjotr Iljitsch Tschaikowsky/1840 - 1893
Gesamttitel: Die Jahreszeiten; op.37 / Peter Iljitsch TSCHAIKOWSKY - Kalle Randalu
Titel: Die Jahreszeiten, op.37a - für Klavier
* Juni: Barkarole
Solist/Solistin: Kalle Randalu /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Antes BMCD 319028

weiteren Inhalt einblenden