Gedanken für den Tag

27. Jänner 2014, 06:56

Die Maske verhüllt das Alltägliche und gibt damit dem Unbekannten Raum zum Einbrechen in diesen Alltag, der uns auf bestimmte Rollen und Aspekte festlegt. Ein "Allerweltsgesicht" ist jenes, das unauffällig und damit so leicht zu vergessen ist. Das bedeutet weder, dass ein Allerweltsgesicht nicht auch attraktiv sein könnte, und es bedeutet auch nicht, dass die Maske unbedingte Attraktivität ausstrahlt: vor allem im Venediger Karneval gibt es eine ganze Reihe traditioneller Masken, die dem Träger, der Trägerin keineswegs blendende Schönheit verleihen, sondern ganz im Gegenteil, bedrohlich, lächerlich sind und jedenfalls in jeder Hinsicht den goldenen Schnitt vermissen lassen.

Wer sagt denn schließlich, dass jeder Maskentragende sich nach großer Schönheit sehnen würde? Schönheit alleine macht noch lange nicht erotisch oder aufregend. Das natürlich gesetzt den Fall, dass Erotik immer zu den Untertönen eines Maskenballes gehört: denn vielleicht ist das nicht immer der Fall. Vielleicht will sich das Schöne auch einmal unter dem Schutz seiner hässlichen Maske von einer anderen Seite zeigen, vielleicht will das Schöne ganz einfach seine Ruhe haben oder eine neue Erfahrung. Vielleicht erkennt das Schöne sich selbst nicht als das an, was der Blick des Betrachters ihm vermitteln möchte. Vielleicht will es erst aus dem Verborgenen erkannt werden, nicht aus dem Offensichtlichen.

Die Maske verleiht eine neue Identität. Die Maske verschleiert. Die Maske lügt. Aber nicht nur alles das: die Maske befreit, jedenfalls für kurze Zeit, von dem, was man gewesen ist. Diese Befreiung ist ersehnt und gefürchtet. Nicht umsonst stellt ein Karneval einen zeitlich begrenzten Ausnahmezustand dar. Ein endloses Verbergen bedeutet Identitätsverlust statt Identitätsgewinn.

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