Radiokolleg - Italienische Gegenwartsphilosophie

Vom Ausnahmezustand zur Multitude (2). Gestaltung: Nikolaus Halmer

Zeitgenössische Philosophie-Bestseller wie "Empire" oder "Ausnahmezustand" haben vieles gemeinsam. Gemeinsam ist ihnen der Hang zur Subversion, zur Revolte und zum politischen Aktionismus. Gemeinsam ist ihnen auch ihre italienische Herkunft. Die Autoren heißen Antonio Negri, Giorgio Agamben, Gianni Vattimo, und Massimo Cacciari.

Es sind postmarxistische Starintellektuelle, die eine radikale Kritik des herrschenden kapitalistischen Systems formulieren. Speziell richtet sich die Kritik gegen die Ideologie eines "starken Subjekts", vorstellbar als erfolgreiche/r Banker/in oder Manager/in. Dagegen setzt Gianni Vattimo "das schwache Subjekt" - Obdachlose oder Migrant/innen am Rand der Gesellschaft. Giorgio Agamben thematisiert "den Vogelfreien", "das nackte Subjekt", das auch in den westlichen Demokratien seiner politischen Rechte beraubt wurde. Exemplarisch dafür sind Bilder aus dem Lager Guantánamo Bay und die Folterungen im Gefängnis Abu Ghraib. Sie zeigen, dass Folter erlaubt wird und einen rechtsfreien Raum - "einen Ausnahmezustand" - schafft, in dem Menschen an der Hundeleine geführt werden.

Gegen einen anderen "Ausnahmezustand" kämpft Antonio Negri in seinem Kultbuch "Empire" an. Als "Empire" bezeichnet der revolutionäre Philosoph den globalen Finanzkapitalismus. Dagegen stellt Negri die "Multitude". Sie gründet sich auf der Empörung der sozial Degradierten, die als Opfer des Finanzmarkt-Kapitalismus ihre existenziellen Grundbedürfnisse kaum mehr befriedigen können. In der Revolte gegen die prekären Lebensverhältnisse liegt der Konsens der sozialen Bewegungen. Massimo Cacciari, der sich anfänglich mit Antonio Negri an Demonstrationen gegen die Herrschenden in Venedig beteiligte, ging einen anderen Weg: Er vereinigte seine komplexe philosophische Arbeit mit der Tätigkeit des Bürgermeisters von Venedig, wo er eher pragmatisch auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einging.

Das schillernde Denken der italienischen Philosophen verharrt nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft, sondern setzt es - im Sinne von Karl Marx - in die Praxis um. Diese Subversion wird, wie im Falle von Antonio Negri, von zahlreichen Deklassierten aufgenommen und artikuliert sich in Widerstandsbewegungen wie der Antiglobalisierungsbewegung und der Occupy-Bewegung.

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