Gedanken für den Tag

von Philipp Harnoncourt, Liturgiewissenschafter und Ökumeniker. "Vom Wunder der Sprache". Gestaltung: Alexandra Mantler

"Deine Sprache verrät dich!"

Während Jesus von Nazareth von Pontius Pilatus verhört wird, hält sich Petrus im Hof des Gerichtsgebäudes auf und wärmt seine Hände am Feuer. So sagt es die Bibel. Auf die Frage: "Bist nicht auch du einer von seinen Jüngern?" antwortet er, "Ich kenne diesen Menschen nicht". Mit diesem kurzen Satz hat er sich schon verraten. "Du bist ein Galiläer, deine Sprache verrät dich".

Unsere persönliche Sprache, nicht nur ein bestimmter Dialekt, sondern auch die Stimme, der Sprechfluss und der Atem, und viele Eigentümlichkeiten der Körpersprache sind so stark individuell geprägt, dass Personen mit Sicherheit erkannt werden können, ohne dass man sie sieht. Es ist bekannt, dass gerade sehbehinderte und blinde Menschen für solche persönlichen Merkmale besonders sensibel sind.

Als regelmäßiger Ö1-Hörer erkenne ich fast alle Nachrichtensprecher und -sprecherinnen schon nach wenigen Worten und ich freue mich unbändig, wenn jemand so spricht, dass das Interesse an der Botschaft und sogar der Respekt gegenüber Hörerinnen und Hörern durchklingt.

Wie Sprachdialekte ganze Gruppen von Menschen kennzeichnen, gibt es auch in Stimme und Körpersprache unverkennbare Eigentümlichkeiten von ganzen Familien. Vier von uns fünf Brüdern haben so ähnliche Stimmen, dass weder unser Vater noch unsere Mutter uns bei Telefonanrufen erkennen konnten. Und von Radiohörern weiß ich, dass ich oft mit meinem Bruder Nikolaus verwechselt werde wegen unserer ähnlichen Stimmen und Sprechgewohnheiten.

Sogar geschriebene Sprache kann bei starken Literaten so individuell geprägt sein, dass Hörer oder Leser am konkreten Text die Verfasserin oder den Verfasser erkennen, man denke an den jungen Wolfgang Bauer, an Thomas Bernhard oder an Ernst Jandl.
Das Wunder der Sprache und des Sprechens fordert Sorgfalt im Reden und Respekt gegenüber den Hörenden.

Service

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Georg Philipp Telemann/1681 - 1767
Album: Telemann : Darmstädter Ouvertüren / Tafelmusik
* Les Capricieux - 4.Satz (00:01:20)
Titel: Ouvertüre für 3 Oboen, 2 Violin Oberstimmen < Dessus pour Violons >, eine Tenorstimme < Taille de violon >, Fagott und Cembalo in g-moll TWV 55:g4 / aus "Darmstädter Ouvertüren"
55/g4
Ausführende: Concentus musicus Wien
Leitung: Nikolaus Harnoncourt
Länge: 02:00 min
Label: Teldec 8357751

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