Gedanken für den Tag

von Brigitte Schwens-Harrant, Theologin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche". "Freiheit, die sich erfindet und mich erfindet Tag für Tag" - Zum 100. Geburtstag von Octavio Paz. Gestaltung: Alexandra Mantler

Die mexikanische Revolution war vier Jahre her, als Octavio Paz am 31. März 1914 in Mexiko-Stadt geboren wurde. Der liberale Großvater sorgte sich um die Demokratisierung Mexikos, der Vater um Modernisierung und Industrialisierung. Octavio wuchs aber auch mit Büchern auf. Und beim Lesen entdeckte er, "dass in uns allen ein Gegner wohnt und dass ihn bekämpfen heißt, uns selber zu bekämpfen. Dieser Kampf, der nicht nur ein innerer, sondern auch ein gesellschaftlicher ist, war während der letzten beiden Jahrhunderte die Substanz der Geschichte unserer Völker. So lernte ich", heißt es weiter bei Paz, "dass eine Kultur nicht eine unbewegliche, stets mit sich selbst identische Wesenheit ist, sondern eine Gesellschaft, in der Uneinigkeit herrscht und die besessen ist von dem Wunsch nach Einheit, ein Spiegel, in dem wir uns verlieren, wenn wir uns in ihm betrachten, und uns doch in diesem Verlieren wiederfinden."

Die Erfahrung der Andersheit und die Sehnsucht nach Einheit: diese Themen prägen Paz' lyrisches und essayistisches Werk. Zugänge zum Erleben des Einsseins fand er später in Asien - und durch seine Frau. Mit dem anderen kam er spätestens in Berührung, als er das Studium der Philosophie und Rechtswissenschaften abbrach und nach Yucatan ging, wo er eine Schule für Bauern- und Arbeiterkinder gründete. Da lernte er das ökonomische Elend und die Welt der Indios kennen, diese "innere und unauslotbare, vertraute und unbekannte Dimension" seines Landes, die er in seine Welt als mexikanische zu integrieren suchte.

Seine Beschäftigung mit dem von ihm stark mythisierten Ursprung Mexikos und der aztekischen Kultur ist aber nicht nationalistisch zu verstehen, wenngleich sie auch eine Antwort auf die Europa- und Nordamerika-orientierten Bewegungen in Mexiko war. Paz sah: Die Verunsicherung, die durch das Andere geschieht, stellt Identität in Frage, aber damit erst her.

"Die Absage an die persönliche Identität", schreibt Paz und der asiatische Einfluss ist spürbar, "bedeutet nicht den Verlust des Seins, sondern gerade seine Wiedergewinnung."

Service

Buch, Octavio Paz, "Gedichte", Verlag Suhrkamp
Buch, Christian Morgenstern, "Gedichte in einem Band", Insel Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Julio César Oliva/geb.1947
Album: ESTAMPAS DE MÉXICO - MORGAN SZYMANSKI
Titel: Río Grijalva (Chiapas) - für Gitarre
Gesamttitel: Veinte Estampas de México / Zwanzig mexikanische Skizzen
Solist/Solistin: Morgan Szymanski /Gitarre
Länge: 02:00 min
Label: Sarabande Records SARACD004

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