Zwischenruf

von Pfarrer Rainer Gottas (Klagenfurt)

"Sieg!" - eine Kurznachricht Sonntag nach Mitternacht. Nur ein Wort: "Sieg!" Und mein Kollege freut sich wie ein Schneekönig: "Wir haben gewonnen! Conchita Wurst hat den Songcontest gewonnen." . und 1½ Millionen Österreicherinnen und Österreicher waren live dabei.

"Rise Like A Phoenix" - das war große Oper mit großer Geste. 290 Punkte für Österreich, 1. Platz beim Eurovision Song Contest. Wer hätte das gedacht?

Auch wenn man sich, so wie ich, für diesen Wettbewerb eigentlich nicht besonders interessiert - der Allgegenwart der bärtigen Frau hat man in den letzten Wochen nicht entkommen können: Conchita Wurst auf den Titelseiten der Fernsehzeitungen, in Magazinen und Kinderzeitschriften, Dauergast in Fernsehen und Radio.

Aber warum die Aufmerksamkeit? Warum der Wirbel? Was war, was ist da eigentlich los? Ist es allein die Tatsache, dass sich ein junger Mann als Diva kleidet oder steckt noch mehr hinter der großen Erregung?

Diese Kunstfigur hat wohl viele ziemlich irritiert: Ein junger Mann, der sich als Frau mit Bart kleidet?! Auch mir kommt das "sie" nicht selbstverständlich über die Lippen. Aber hinter der Rolle, die sie spielt, stecken Erfahrungen, die er als junger homosexueller Mann gemacht hat, die auch diskriminierend waren: Spott, Hass und Verletzungen.

Die ersten Worte nach dem Sieg hat Conchita Wurst an die gerichtet, die an sie und ihren Traum von einer Welt ohne Vorurteile und Intoleranz geglaubt haben: "Diese Nacht ist all denen gewidmet, die an die Zukunft von Frieden und Freiheit glauben."

Das ist doch eine sympathische Botschaft am Ende eines langen Abends. Wer darin - so wie manche russische Politiker - ein Begräbnis traditioneller Werte und den Untergang des Abendlandes sieht, dem ist nicht zu helfen. Der leugnet nämlich die real existierende Vielfalt an Lebensentwürfen in unserer Welt. Die lassen sich nicht einfach über den Moral-Kamm scheren, weil es die eine geschlossene Welt an Lebensentwürfen oder eine allen gleich selbstverständliche Wertegemeinschaft niemals gab und auch heute so nicht gibt. Das kann man bedauern. Dennoch haben wir mit dieser Tatsache umzugehen.

Das bedeutet nicht, jede Lebenshaltung zu teilen, aber zu akzeptieren, dass - Zitat Conchita Wurst - "es einfach Menschen gibt, die ein bisschen bunter sind als andere". Es bedeutet auch nicht, dass es egal wäre, wie Menschen sind und leben, aber dass man bei allen Unterschieden dennoch immer zuerst den Menschen zu sehen hat.

Den meist anonym geäußerten Hass, der Conchita Wurst in den letzten Wochen in diversen Internetforen entgegenschlägt, kann ich überhaupt nicht verstehen. Was irritiert diese Menschen so sehr? Sind sie sich ihrer eigenen Identität so wenig gewiss, dass sie so hinschlagen?

Ich bin Tom Neuwirth alias Conchita Wurst für seine Denkanstöße dankbar. Als Protestant bin ich auch Mitglied einer anderen, der evangelischen Minderheit. Ich möchte meine Energie gerne dafür verwenden, darüber nachzudenken, wie wir mit unseren Gaben und Merkmalen gemeinsam leben können, anstatt Grenzen zu ziehen, damit sich homosexuelle Menschen, die ja mitten unter uns leben, nicht verstecken müssen.

Dieser Tage wird der Sieg gefeiert. Conchita Wurst wird herumgereicht. Sie hat plötzlich viele Freunde und alle geben sich tolerant und liberal. Die sexuelle Orientierung und ihre freie Zurschaustellung ist "uns" dieser Tage völlig "Wurst". Ich wünsche Tom Neuwirth, dass ihn dabei die Kunstfigur vor seiner Verletzlichkeit und vor den dunklen Seiten des Erfolgs schützt.

Und ich wünsche ihm auch, dass er beim gar nicht so glamourösen Ringen um die konkreten Rechtsfolgen der Gleichberechtigung, Menschen an seiner Seite hat, die ihn dabei unterstützen. Dann erhebt sich der Phönix vielleicht wirklich und der Sieg währt länger als eine Nacht.

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