Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker. "Sag die Wahrheit, nicht nur das, was real ist" - Zum 100. Geburtstag des Theatermenschen und Schriftstellers George Tabori. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Sind Sie ein gläubiger Jude?", wurde George Tabori einmal in einem Interview gefragt. "Nein", lautete die lapidare Antwort. Er wollte sich nicht von außen als Jude definieren lassen, sondern selbst über seine jüdische Identität entscheiden. Wie viele andere ist er durch den Holocaust gleichsam zu einem Juden gemacht worden.

Aber auch wenn in Taboris Elternhaus die religiösen Gebräuche des Judentums nicht gepflegt wurden - die Bibel kannte er gut, und das kommt in vielen Stellen seines Werkes zum Vorschein. In seiner "Ballade vom Wiener Schnitzel" ist Hiob Ansprechpartner und Identifikationsfigur. "Bist du Hiob? Wer ist es nicht?" - so endet das Gespräch zwischen dem Wiener Juden Alfons Morgenstern und Bildad, Hiobs Freund im alttestamentlichen Buch, aus dem lange Passagen zitiert werden, ironisch gebrochen in der Umgebung eines Barbierladens und gleichzeitig radikalisiert angesichts der ermordeten Angehörigen Morgensterns, die danach am Friedhof erscheinen. Hiob war immer auch eine Symbolgestalt für das Schicksal des jüdischen Volkes, schon im mittelalterlichen Epos "Der arme Heinrich" des Hartmann von Aue.

Tabori nimmt aber in seinen Stücken auch auf zahlreiche Elemente der christlichen Religion Bezug, vor allem auf die Eucharistie. Inmitten von Witz und Groteske übersieht man allzu leicht, dass Tabori sie gleichzeitig sehr ernst nimmt. Der Frankfurter Priester und katholische Theologe Stefan Scholz hat ein Buch über Tabori geschrieben und nennt ihn im Untertitel einen Fremdpropheten in postmoderner Zeit. Sehr treffend für Taboris Theaterverständnis schreibt Scholz über die religiöse Dimension des Theaters: "Der wahre Schauspieler . tritt als prophetischer Zeuge auf, dass der Humanismus zwar als allgemeine Idee gescheitert, aber eben doch nicht gestorben ist, sondern in den Fragmenten gescheiterten Lebens eine provisorische Bühne gefunden hat." Das Buch von Stefan Scholz trägt den Titel "Von der humanisierenden Kraft des Scheiterns". Für Georges Tabori war das Scheitern immer wichtiger und vor allem erkenntnisträchtiger als der Erfolg.

Service

George Tabori, Autodafé und Exodus. Erinnerungen, Verlag Klaus Wagenbach
George Tabori, Das Oper, Verlag Steidl
George Tabori, Gefährten zur linken Hand", Verlag Steidl
George Tabori, Ein guter Mord, Verlag Steidl
George Tabori, Tod in Post Aarif, Verlag Steidl
George Tabori, Theater. Band 1, Verlag Steidl
George Tabori, Mein Kampf. Textausgabe und Materialien, Verlag Klett-Cotta
George Tabori, Mutters Courage, Verlag Klaus Wagenbach
Stefan Scholz, Von der humanisierenden Kraft des Scheiterns. George Tabori - Ein Fremdprophet in postmoderner Zeit, Verlag W. Kohlhammer
Anat Feinberg, George Tabori, Deutscher Taschenbuch Verlag
Jan Strümpel, Vorstellungen vom Holocaust. George Taboris Erinnerungs-Spiele, Wallstein Verlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Johann Sebastian Bach/1685 - 1750
Album: THE GLENN GOULD EDITION
* 1. Aria (00:03:05)
Titel: Goldberg - Variationen BWV 988 "Aria mit 30 Veränderungen" < aus Klavierübung 4.Teil >
Solist/Solistin: Glenn Gould /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: SONY SMK 52594

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