Gedanken für den Tag

von Andreas Lust, Schauspieler. "Vater-Geschichten". Gestaltung: Alexandra Mantler

Mein Kleiner will partout kein Österreicher sein, wenn's darum geht. Irgendwie hat er mit seinen vier Jahren spitz gekriegt, dass beim Fußball entweder die Roten gewinnen oder Deutschland. Der ist ein Berliner. Bei dem ist "Tisch" "Tüsch" und "Fisch" "Füsch". Das ist irgendwie auch gut so, weil er ja seine eigene Identität finden soll oder muss. Andererseits möchte man doch irgendwas von den eigenen Wurzeln auch vermitteln und weitergeben.
Mir fällt das ehrlich gestanden in Berlin etwas schwer, da wo ich selbst seit Jahren in einer Art Assimilationsprozess stecke. Die Gerüche und Bilder aus der eigenen Kindheit sind weit weg. Wir leben einfach in einer anderen Stadt. Wien, das ist da, wo die Oma, die Uroma und die Tante Alice wohnen. Da haben wir eine kleine Wohnung und da fahren wir einmal im Jahr auf Besuch hin, aber es ist im Alltag nicht spürbar.

Wenn wir dann da sind, ist auch meist keine Möglichkeit irgendwas zu vermitteln außer dem, was die Stadt selbst im Durchlaufen hergibt. Aber vielleicht ist das eh genug. Vielleicht muss ich nicht überall daneben stehen und alles erklären, wo das Stiegenhaus nach Kohlsuppe riecht, weil die alte Treitler kocht. Die müssen auch nicht mit mir auf jeder Wiese liegen, auf der ich gelegen habe. Die werden ihre eigenen Bilder und Assoziationen knüpfen und es wird ihnen selbst irgendwann irgendwas bedeuten. Nur eben nicht das, was es mir bedeutet und was ich empfinde, wenn ich in dieser Stadt meiner Kindheit und Jugend steh.

Aber wahrscheinlich bring ich davon viel mehr mit nach Berlin als ich glaube. Man kriegt das ja auch nicht raus. Ich halte immer noch jedem hinter mir die Tür auf, entschuldige mich bei jeder Bestellung mit "könnten" und "dürften" und "wir würden gerne bitte", sag zu meinen Kindern "Spotzln" und betone bei jeder Gelegenheit, dass woanders die Pflaume eine Zwetschke ist.

Nur mit dem Vornamen meines Sohnes, den ich gerne "Ribisel" genannt hätte, weil's so was Frisches und Freches hat - Ribisel - da konnte ich mich nicht durchsetzen. Er ist aber genauso, auch wenn er jetzt Eduard heißt.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: George Gershwin/1898 - 1937
Album: GEORGE GERSHWIN: THE 1920'S & THE 1930'S
Titel: Promenade für Klavier und Orchester
Populartitel: Walking the dog
Orchester: Los Angeles Philharmonic
Leitung: Michael Tilson Thomas
Solist/Solistin: Michael Tilson Thomas /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: CBS MK39699

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