Vom Leben der Natur

Bergbewohner mit acht Beinen. Der Zoologe Christian Komposch erforscht Spinnen und Spinnentiere der heimischen Alpen.
Teil 1: Überlebende der Eiszeit.
Gestaltung: Wolfgang Bauer

Sie heißen Scherenkanker, Klauenkanker, Baldachinspinne oder Riesenauge. Sie sind schwarz, bernsteinfarben oder tarnen sich als Felsbewohner mit den Farben des Kalkgesteins. Manche sind nur wenige Millimeter groß, andere mehrere Zentimeter. Die Rede ist von Spinnen und Spinnentieren, die bis in die Gipfelregionen der heimischen Berge anzutreffen sind.
Einige dieser Tiere gelten als Endemiten, das heißt, dass sie nur in einem bestimmten Gebiet oder auf einem bestimmten Berg vorkommen und sonst nirgendwo auf der Welt. So findet man etwa in den Bergen des Nationalparks Gesäuse sechs Weberknecht- und 12 Spinnenarten, die als endemisch zu bezeichnen sind. Auch bestimmte Laufkäfer oder die erst vor wenigen Jahren entdeckte Steinfliege sind Endemiten, die im Gesäuse ebenso ihren Lebensraum haben wie endemische Pflanzen und Pilze.

Der Grund für ihr seltenes Vorkommen ist in der letzten Eiszeit vor ca. 20.000 Jahren zu suchen. Riesige Gletscher mit einer Dicke von mehr als einem Kilometer durchzogen die Täler und machten die Regionen zu lebensfeindlichen Eiswüsten. Das heutige Österreich war zu mehr als 40 Prozent von Eismassen bedeckt. Viele Tierarten starben aus, andere waren gezwungen in südliche und wärmere Regionen auszuwandern. Wiederum andere überlebten in Höhlen oder auf den Bergspitzen, die aus dem Eis ragten - vor allem am Rande der Gletscher. Sie haben sich derart an die harten und unwirtlichen Bedingungen des Hochgebirges angepasst, dass sie nach dem Rückzug der Gletscher in den Höhlen oder auf den Gipfeln geblieben sind. Das Gesäuse, das während der letzten Eiszeit am Rande der Eismassen lag, zählt daher mit anderen Bergregionen der Ostalpen wie den Karawanken, den Bergen zwischen Schneeberg und Totem Gebirge oder den Nockbergen zu den Hotspots für Endemiten aus dem Reich der Spinnen, Spinnentiere, Käfer, Fliegen, aber auch der Pflanzen und Pilze.

Bemerkenswert ist die Lebensweise der seltenen achtbeinigen Gebirgsbewohner - soweit sie bereits bekannt ist, denn ihre Erforschung stellt in vielen Bereichen noch biologisches Neuland dar. Doch von einem Scherenkanker (ein Weberknecht) weiß man beispielsweise, dass er seine riesigen Mundwerkzeuge wie einen Schaufelbagger einsetzt, um zu Nahrung zu gelangen. So kann er mit seinen Greifwerkzeugen das Gehäuse von Schnecken zerstören und aus dem Körper der Schnecken einzelne Teile heraus reißen, die er in seine Mundöffnung steckt. Der Schwarzaugenkanker wiederum verfügt über lange Vorderbeine, mit deren Hilfe er Mücken und Fliegen fängt und sie dann ebenfalls zerlegt und frisst.

Dass es nicht einfach ist, diese Tiere in ihren unwirtlichen Lebensräumen wie auf Block- oder Schutthalden, in Höhlen oder auf Gipfeln zu erforschen, beweist das Nördliche Riesenauge. Ein Spinnentier, das auf Felsen lebt, aber aufgrund seiner Tarnfarbe sehr schwierig zu finden ist. Außerdem nimmt dieses Tier mit den großen Augen andere Lebewesen sofort wahr und kann daher rechtzeitig in Felsspalten verschwinden, wenn jemand naht. Dem Zoologen und Spinnentierforscher Christian Komposch vom Ökoteam in Graz ist es dennoch gelungen, dieses seltene und scheue Tier zu erforschen und auch neue Spinnentierarten für die Wissenschaft zu entdecken.

Service

Interviewpartner:
Univ.-Lektor. Mag. Dr. Christian Komposch
ÖKOTEAM - Institut für Tierökologie und Naturraumplanung OG
Bergmanngasse 22
A-8010 Graz

Ökoteam


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