Zeit-Ton

Blick zurück - Blick nach vorne: Peter Ruzickas letzte Münchener Musikbiennale. Gestaltung: Lothar Knessl

Gegründet wurde das Festival, dessen Zielsetzung es war und ist, musiktheaterinteressierten jungen Komponistinnen und Komponisten eine Spielstätte zu bieten, wo ihre Ideen realisiert werden, 1988 von Hans Werner Henze. Das war ästhetisch prägend. Er übertrug die künstlerische Leitung 1996 seinem vormaligen Schüler Peter Ruzicka, der freilich einst auch Schüler von Hans Otte war, ästhetisch geradezu ein Antipode Henzes, ablesbar an den bunten Programmprofilen der Ruzicka-Ära mit bis dato 41 Uraufführungen (seit der Gründung 1965). Das textbezogene Musiktheater verliert in diesen Jahren die Priorität und zeigt sich nun auch von seiner nonsemantischen, visuell ausgerichteten, vom Handlungsstrang gelösten Seite. Nur Uraufführungen: das inkludiert Risken, und so blieb die Biennale von Rückschlägen nicht gefeit. Einiges hat sich gehalten, auch ohne Koproduktionen, hervorhebenswert, weil ja heutzutage die Intendanten sogar eindeutige Erfolgsstücke nicht oder nur zögerlich nachspielen. Geblieben sind, mehr in der Erinnerung als auf Spielplänen (nur einige subjektive Beispiele): Gerd Kührs "Stallerhof" und Adriana Höszkys "Bremer Freiheit" (beide 1988), Giorgio Battistellis "Teorema"(1992), Toshio Hosokawas "Vision of Lear" (1998), Chaya Czernowins "Pnima . ins Innere" (2000), Johannes Maria Stauds "Berenice" (2004), Mark Andrés "...22.13..." (2004), Brian Ferneyhoughs "Shadowtime" (2004), Aureliano Cattaneos "La philosophie dans le labyrinthe" (2006), Enno Poppes "Arbeit Nahrung Wohnung" (2008), Arnulf Herrmanns "Wasser" (2012)...

Und nun, zum Finale, öffnet sich Peter Ruzicka programmatisch der kompositorischen Gegenwart mit Chancen auf Dauerhaftigkeit. Etwa mit "Vivier" von Marko Nikodijevic, dessen reiche Klangphantasie durch grundlegende Metamorphosen der kompositorischen Verfahren des titelgebenden Komponisten sich manifestiert (Nikodijevic verfuhr ähnlich, und sehr überzeugend, mit der Musik Gesualdos). Zum Vergleich ist mit der 1979 entstandenen opéra-rituel de mort "Kopernikus", Claude Vivier im Original zu hören. Dieter Schnebel, immer für überraschende Erneuerungen gut, hat seine Gedanken gleich im Titel verankert: "Utopien". Der dreißigjährige Samy Moussa, in Montréal geboren, in Westeuropa schon bestens verankert, liefert mit "Wüstung" einen markanten Beitrag zum Musiktheater der Gegenwart. Und mit den "Befristeten" (nach Elias Canetti) von Detlev Glanert blickt Ruzicka auf das erste "Biennale"-Jahr zurück, auf die erste Produktion des Festivals im Mai 1988, die Uraufführung von "Leyla und Medjun" eben des Henze-Schülers Glanert - eine ideell historische Verankerung.

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Detlev Glanert
Titel: Die Befristeten (Ausschnitt)
Ausführende: Ensemble "Nico and the navigators"
Orchester: Ensemble "piano possibile"
Leitung: Heinz Friedl
Länge: 02:58 min
Label: EBU (BR)

Komponist/Komponistin: Dieter Schnebel
Titel: "Utopien" (Ausschnitt)
Orchester: Neue Vocalsolisten Stuttgart
Länge: 00:30 min
Label: EBU (BR)

Komponist/Komponistin: Dieter Schnebel
Titel: Re-Vision "Bach-Contrapunctus 1"
Orchester: Neue Vocalsolisten
Leitung: Manfred Schreier
Länge: 04:26 min
Label: WER 6616

Komponist/Komponistin: Nikolaus Brass
Titel: Sommertag (UA) (Ausschnitt)
Orchester: Neue Vocalsolisten Stuttgart
Ausführende: 6 Instrumentalsolisten
Länge: 03:06 min
Label: EBU (BR)

Komponist/Komponistin: Claude Vivier
Titel: Kopernikus (UA) (Ausschnitt)
Orchester: Studierende der Hochschule für Musik und Theater München
Leitung: Konstantia Gourzi
Länge: 00:17 min
Label: EBU (BR)

Komponist/Komponistin: Claude Vivier
Titel: "Zipangu" (Ausschnitt)
Orchester: Schönberg-Ensemble
Leitung: Reinbert de Leeuw
Länge: 04:45 min
Label: Philips 454 231

Komponist/Komponistin: Marko Nikodijevic
Titel: "Vivier" (2. und 6. Szene) Ausschnitt
Orchester: Orchester des Staatstheaters Braunschweig
Leitung: Sebastian Beckedorf
Ausführende: Vokalsolisten des Kammerchors München
Solist/Solistin: Tim Severloh (Vivier)/Countertenor
Solist/Solistin: Daniel Holzhauser/Bass
Solist/Solistin: Nusa Nkuna/Tenor
Länge: 16:00 min
Label: EBU

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