Gedanken für den Tag

von FALKNER, Schriftstellerin und Hörspielregisseurin. "Manifest 45" - Lieder singen im dunklen Wald. Gestaltung: Alexandra Mantler

Manifest 45.5. / Und was kommt nach dem Menschsein?

Ist der ein Mensch?
Bin ich ein Mensch?
Wo ist er, der Mensch in mir?
Und: was kommt nach dem Menschsein?

Und was kommt nach dem Menschsein?
Was kommt, wenn das Eigentliche vorüber ist?
Rohheit?
Hass?
So tun als wäre nichts gewesen?
So tun als hätte ich nichts gesehen?
Einatmen?
Ausatmen?
Grabsteine versetzen?
Ein Jahr lang, jeden Tag?

Wo Krieg war, wird nichts mehr.
Menschen töten Menschen, jene Teile von uns, die fehlen.
Die Verzweiflung die uns lähmt.
Schulter an Schulter.
Tag für Tag.
Schneller, schneller, immer schneller.
Schau hin.
Schau hin und vergiss es nie: das ist er, der Krieg.
Starrt dich an.
Fragt, woher du das weißt.
Schau hin.
Schau hin und vergiss es nie: wie sehr er dich verachtet, wie sehr er dich hasst, im nächsten, im übernächsten, in allen kommenden Jahren.
Die einen gehen in ihr Zimmer, nehmen eine Waffe in die Hand und drücken ab "Ich bin so froh, dass ich tot bin", die anderen schlagen auf ihn ein.

Der Krieg.
Von ihm kommt alles.
Von ihm geht alles aus.
In weißes Tuch gehüllt mit Namen drauf: Alexander, Emanuel, Eugen, Ivo, Norbert, Wolfgang, Zinedine, Robert, Sebastian, Omar, Tobias, Elisabeth, Matilda .
Gestickt auf weißem Grund: Die Bevölkerung ist unser! Die Bevölkerung ist unser! Wir sind im Krieg!
Nach zwei-, dreimal Händewaschen ist das Blut weg, aber ich kann es nicht mehr vergessen.
Händewaschen und währenddessen immer von eins bis zwanzig zählen, am härtesten sind die ersten Tag, sich an den Schmerz gewöhnen.
Während die einen stumm bleiben, schreien die anderen "aufhören!"
Während sie schreien "Ich habe nicht getötet".
Der Körper schwer und traurig.
Der Kopf weggeschossen.
Dann hat mich der Mut verlassen.
Wir sind im Krieg!
Der große Plan.
Keinen Willen mehr haben.
Bitten, die keinen rühren.
Eins, zwei, drei.
Einatmen, ausatmen.
Nein das können wir nicht mehr.

Der Krieg schafft keine neuen Menschen.
Der Krieg nimmt alles.
Alles.
Der Krieg reißt alles nieder.

In stillem Gedenken:
Wo ist er, der Mensch in mir?

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Johannes Brahms/1833 - 1897
Titel: Streichquintett Nr.2 in G-Dur op.111
* Adagio - 2.Satz (00:06:11)
Ausführende: Philharmonisches Oktett Berlin /Mitglieder
Ausführender/Ausführende: Alfred Malecek /Violine
Ausführender/Ausführende: Ferdinand Mezger /Violine
Ausführender/Ausführende: Kunio Tsuchiya /Viola
Ausführender/Ausführende: Dietrich Gerhardt /Viola
Ausführender/Ausführende: Peter Steiner /Violoncello
Länge: 02:00 min
Label: Philips 426094-2

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