Zwischenruf

von Christine Hubka (Wien)

Wurstsachen und Integration

Eines Tages läutet es an der Türe des evangelischen Pfarrhauses in Traiskirchen. Freudig begrüße ich Rahid, einen Asylwerber aus dem Iran. Er ist gelernter Zahnarzt, spricht gut Englisch. Seit er eines Abends mit seiner großen Familie obdachlos dagestanden ist und die Nacht im Gemeindesaal verbringen konnte, kommt er immer wieder auf Besuch.
Sein Asylverfahren läuft. Nun heißt es warten.

Viel hat Rahid zu erzählen. Aber diesmal möchte er, dass ich etwas erzähle.
Er bittet: "Geh mit mir in den Supermarkt. "Ich wundere mich, denn ich weiß, dass er kein Geld hat, um einkaufen zu gehen. Aber was soll's, ich gehe mit ihm den kurzen Weg zum Geschäft und warte ab, was er jetzt machen wird.

Vor dem Kühlregal, in dem die Wurstwaren liegen, bleibt er stehen und sagt: "Hier gibt es so viele verschiedene Wurstsorten. Welche muss man kochen? Welche kann man gleich essen?" Ich zeige mit dem Finger auf die einzelnen Packungen: "Das ist eine Knackwurst. Die kannst du roh essen, aber du kannst sie auch braten oder kochen." "Das sind Bratwürstel. Die musst du ins heiße Fett geben." "Das sind Käsekrainer. Die musst du kochen. "Es dauert eine Weile, bis wir das ganze Wurstregal abgearbeitet haben. Rahid macht sich laufend Notizen, fragt, wie man Käsekrainer schreibt. Als wir fertig sind, steckt er seinen Block ein und schaut mich nachdenklich an: "Woher weißt du das alles?"
Die Frage überrascht mich. Woher weiß ich das? Irgendwie ist dieses Wissen wie vieles andere zu mir gekommen, als ich hier aufgewachsen bin.

Beim Mittagessen teste ich meine Kinder und frage sie, welche Wurst man gleich essen kann, welche man kochen oder braten muss. Ohne zu zögern geben die beiden Volksschulkinder die richtigen Antworten.
Ich frage: "Woher wisst ihr das?" Mein Sohn schaut erstaunt an und meint: "Na sowas weiß man eben!"

So was weiß man eben.
Mir scheint, Kultur ist das, was man eben weiß, ohne sagen zu können, woher genau man es hat. Das können Informationen sein, Einstellungen, Verhaltensweisen. Was wir Inländer mit der spielerischen Leichtigkeit des Kindes erworben haben, müssen sich Asylwerber und Asylwerberinnen hart erarbeiten. Dazu brauchen sie unsere Unterstützung. Nicht nur in Wurstsachen. Dazu dürfen sie nicht irgendwie und irgendwo zusammengepfercht werden. Dazu müssen sie sichtbar sein, mitten unter der heimischen Bevölkerung leben, so viele Berührungspunkte haben, wie möglich.

Im ersten Moment scheint es für den Rest des Landes sehr praktisch zu sein, wenn möglichst viele Asylwerberinnen in Traiskirchen untergebracht werden. Dann sind sie in allen anderen Orten und Gemeinden unsichtbar. Niemand muss sich mehr mit ihnen befassen. Die in Traiskirchen machen ja die Arbeit. Aber ein einzelner Ort kann nicht die Arbeit für ein ganzes Land machen. Es genügt nicht, wenn die Menschen aus fernen Ländern und fremden Kulturen irgendwo und irgendwie Essen und ein Bett bekommen. Sie brauchen auch jemanden, der ihre Fragen beantwortet. Sie brauchen jemanden, der eine halbe oder gar eine Stunde Zeit hat, um ihnen "Käsekrainer" zu buchstabieren und noch manches andere auszudeutschen.

Ich verstehe nicht, warum es so schwer sein soll, dass viele Orte zehn oder zwanzig Familien aufnehmen. Ich verstehe nicht, wovor sich die Menschen fürchten und dagegen protestieren, wenn ein Bürgermeister dazu bereit wäre. Die Traiskirchner machen seit Jahrzehnten vor, wie das geht.

Die Fremdengesetze verändern sich so schnell, dass es schwer ist, den aktuellen Stand zu kennen. Auch Rechtskundige hecheln atemlos hinter den rechtlichen Entwicklungen her.
Vor allen fein ziselierten Bestimmungen und Vorschriften, vor allen Vereinbarungen und Paragraphen, sollte aber ein ganz einfacher, ein ganz kurzer, ein biblischer Rechtssatz gelten: "Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen."

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