Radiokolleg - Korn

Keim der Zivilisation
(3). Gestaltung: Gerlinde Tamerl und Robert Weichinger

An der Grenze von Mesolithikum zum Neolithikum begann ein Prozess, der das Leben des Homo Sapiens nachhaltig verändern sollte: Damals entdeckten die Menschen den Grassamen als Nahrungsquelle, sie veredelten ihn zu Korn. Dieser Kultivierungsvorgang machte aus Jägern und Sammlern Ackerbauern, aus nomadisch herumwandernden Gruppen wurden sesshafte Gemeinschaften. Diese, die menschliche Zivilisationsgeschichte so radikal verändernde Entwicklung setzte in mehreren Teilen der Erde unabhängig voneinander ein, denn Gräser sind weit verbreitet. Sie haben alle ökologischen Nischen besiedelt und sich den unterschiedlichsten Bedingungen angepasst. So fanden die Menschen überall Ausgangsmaterial für ihre späteren Getreidesorten.

Im Vorderen Orient wurde Weizen, Gerste und Roggen hervorgebracht. In China, dem Land der großen Flüsse, war es der Reis, eine Getreidesorte, die viel Wasser benötigt, dafür hohe Erträge liefert. Und in Südamerika wurde ein Korn herangezüchtet, das den dortigen Bedingungen entsprach. Es benötigt vor allem Sonne, aber wenig Feuchtigkeit: Mais. Seit damals bilden Weizen, Reis, Mais, Hafer, Gerste, Roggen und Hirse die wichtigsten Nahrungsquellen des Menschen. All diese Sorten essen wir entweder direkt oder wir verfüttern sie an Tiere und verzehren dann diese. Getreide ist mit einem Anteil von 80 bis 90 Prozent die Basis unserer Ernährung. Nach dem Mais ist der Weizen das am häufigsten angebaute Getreide. Die weltweite Weizenernte liegt bei ungefähr 650-700 Millionen Tonnen und wird international an Warenterminbörsen gehandelt. Weizen eignet sich hervorragend für die industrielle Fertigung von Backwaren, er sorgt durch seinen hohen Gehalt an Gluten, dem sogenannten Klebereiweiß, für eine lockere und gleichmäßige Konsistenz. Nahrungsmittelproduzenten interessiert vor allem die hervorragende Bindefähigkeit von Gluten. Es wird beim Befeuchten elastisch, hält Teige in Form, festigt Spaghetti oder Würste. Doch Gluten ist ein häufiger Auslöser von Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Ernährungsexpert/innen geben zu bedenken, dass Produkte aus reinem Weizenmehl nur "leere" Kalorien enthalten. Echte Vollkornprodukte hingegen werden aus ganzem Korn hergestellt. Keim, Schale und Mehlkörper bleiben erhalten und mit ihnen die wichtigen Mineralstoffe und Vitamine. Für die Lebensmittelindustrie ist der Gesundheitsaspekt zweitrangig. Am Beispiel der EU-Saatgutverordnung zeigte sich jedoch jüngst, dass die Öffentlichkeit nicht mehr alles vorbehaltlos hinnimmt. Die in erster Linie den Interessen der Agrar-Multis folgende Saatgutverordnung wurde aufgrund heftiger Proteste zunächst einmal vom EU-Parlament auf Eis gelegt.

Service

Heistinger, Andrea und Arche Noah: Das große Biogarten-Buch. Löwenzahn Verlag; Auflage: 3., 2013.

Küster, Hansjörg: Am Anfang war das Korn. Eine andere Geschichte der Menschheit. C. H. Beck Verlag, München 2013.

Lipp, Eva Maria: Richtig gutes Brot. Die besten Rezepte zum Selberbacken. Löwenzahn Verlag; Auflage: 1, 2013.

Tannahill, Reay: Kulturgeschichte des Essens. Von der letzten Eiszeit bis heute. München, dtv, 1979.

Sendereihe