Gedanken für den Tag

von Michael Krassnitzer, Journalist. "Zwischen Licht und Schatten" - Zum 115. Geburtstag des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges. Gestaltung: Alexandra Mantler

Eine meiner Lieblingsgeschichten von Jorge Luis Borges ist "Die Lotterie in Babylon". Der argentinische Schriftsteller, dessen Geburtstag sich morgen zum 115. Mal jährt, entwirft darin eine bizarre Gesellschaftsordnung, die auf einem Glücksspiel basiert. In einer geheimen Ziehung wird jedem Babylonier alle 60 Tage eine neue gesellschaftliche Position zugelost: Er kann sich dann als rechtloser Sklave oder als mächtiger Statthalter wiederfinden.

Wie bei Borges üblich, hat diese fantastische Kurzgeschichte viele Ebenen und viele mögliche Interpretationen. Die Lotterie kann als Metapher für die Rolle des Zufalls in unserem Leben betrachtet werden. Sie kann aber auch als Auseinandersetzung mit der Frage gesehen werden, ob es so etwas wie Vorsehung gibt. Der Erzähler ist zwar von der Existenz der im Geheimen operierenden Lotteriegesellschaft überzeugt, doch unter den Babyloniern gibt es auch Stimmen die behaupten, dass es die Lotteriegesellschaft gar nicht gibt.

Schließlich kann die erstmals 1941 erschienene Kurzgeschichte auch politisch verstanden werden: nämlich als satirische Kritik am ständestaatlichen Gesellschaftsmodell, das in den damals faschistischen Staaten Italien, Spanien, Portugal und zuvor auch in Österreich unter Dollfuß und Schuschnigg praktiziert wurde. (Soviel zum Thema, Borges hege Sympathien gegenüber dem Faschismus.)

Die Idee, dass der Platz jedes Individuums in der Gesellschaft von vorneherein festgelegt ist, hat zum Glück längst ausgedient. "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren", heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Auch wenn das in der Praxis oft nicht so glatt läuft wie in der Theorie: Jeder hat Anspruch auf grundlegende Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Hautfarbe, Geschlecht, Religion, politischer Überzeugung oder sonstigem Stand.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Georg Friedrich Händel/1685 - 1759
Album: HÄNDEL: TRIOSONATEN
* Andante - 1.Satz (00:02:55)
Titel: Sonate für 2 Violinen und B.c. in B-Dur op.2 Nr.3 HWV 388
Ausführende: The English Concert /Mitglieder
Ausführender/Ausführende: Simon Standage /Violine
Ausführender/Ausführende: Micaela Comberti /Violine
Ausführender/Ausführende: Anthony Pleeth /Violoncello
Ausführender/Ausführende: Trevor Pinnock /Cembalo
Länge: 02:00 min
Label: DG 4154972

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