Texte - neue Literatur aus Österreich

"Die Grenzen der Sprache". Von Anna Mitgutsch. Es liest die Autorin

Mit dem Roman "Die Züchtigung" legte Anna Mitgutsch 1985 ein Werk vor, das mittlerweile als ein Standardwerk der österreichischen Literatur zu bezeichnen ist. Wie sehr Literatur das Leben der oberösterreichischen Schriftstellerin insgesamt prägt, zeigt seither nicht nur ihr ohnehin offensichtliches, kontinuierliches Schaffen im Bereich von Romanen und Essays. Ihre Arbeiten beweisen darüber hinaus ein immenses Interesse an Sprache an sich. Es umfasst das tiefgründige Erforschen des Umgangs von Literaten mit Sprache und deren Ausdrucksmöglichkeiten.
Sehr eindringlich demonstriert dies beispielsweise Mitgutschs Text "Die Grenzen der Sprache".

Der Horizont (oder das Meer oder die Wüste) symbolisiert für die Dichter die Sehnsucht nach den über der Grenze der Wirklichkeit liegenden Geheimnissen oder Rätseln der Welt. In diese Ferne, oft nicht mehr mit Sprache erreichbares Gebiet, macht sich Anna Mitgutsch in ihrem Text auf. Zur Unterstützung ihrer Reflexion über die Welt als sprachliche Herausforderung hat sie Lyrik von u.a. Matthew Arnold, Emily Dickinson oder Chaim Nachman Bialik im Gepäck. Sie thematisiert auch den Zivilisationsbruch nach der Shoa, denn: "Die Dichter haben einen weiten Weg zurückgelegt, seit Gilgamesch aufbrach, um jenseits des Horizonts die Unsterblichkeit zu suchen und den Tod zu besiegen. Der Horizont ist dem 20. Jahrhundert endgültig abhandengekommen."

Der in der Sendung zu hörende Text basiert auf einer Zusammenfassung, die Anna Mitgutsch erstellt hat. In der Zwischenzeit ist der gesamte, ausführliche Text im Buch "Die Welt, die Rätsel bleibt - Essays" im Luchterhand Verlag (München, 2013) erschienen. Der Band sammelt Essays über bedeutende Schriftstellerpersönlichkeiten wie Rainer Maria Rilke, Marlen Haushofer, Amos Oz und viele mehr. In wechselnden literarischen Formen erkundet die Autorin darin sehr genau das urmenschliche Paradox, sich nach etwas zu sehnen, etwas ergründen zu wollen, das nie beweisen oder verstanden werden kann - aber der Literatur ist die Sehnsucht nach dem Unsagbaren nicht auszutreiben. Die besten und bleibendsten Werke wissen um die Grenze des Sagbaren und nähern sich doch immer wieder von neuem den Mysterien des Lebens.


Anna Mitgutsch, geboren in Linz, unterrichtete Germanistik und amerikanische Literatur an österreichischen und deutschen Universitäten. Viele Jahre lang lebte und arbeitete sie in den USA. Seit 1974 verfasste die Autorin zahlreiche Essays zur Gegenwartsliteratur, übersetzte Lyrik und schrieb neun Romane, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Mitgutschs Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Solothurner Literaturpreis.

Zuletzt erschienen:
"Die Welt, die Rätsel bleibt. Essays" (Luchterhand Verlag, München, 2013); "Zwei Leben und ein Tag" (Luchterhand Verlag, 2007); "Wenn Du wiederkommst" (Luchterhand 2010)

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