Da capo: Im Gespräch

"Es hätte ein großes europäisches Fest werden sollen". Renata Schmidtkunz spricht mit Hazel Rosenstrauch, Sozialwissenschafterin und Autorin

Im September des Jahres 1814 ritten Kaiser und Könige aus ganz Europa in Wien ein - die meisten von ihnen blieben fast ein Jahr. Mit ihnen kamen Hundertschaften an Adjutanten, Sekretären, Kammerzofen und Kammerherren, Köchen und Vertrauten. Die Bevölkerung von Wien wuchs quasi über Nacht um 100.000 Menschen: aus 233.000 Bewohnerinnen und Bewohnern wurden 340.000.
Die Stadt selbst präsentierte sich in neuem Glanze - zumindest optisch. 22 Jahre Krieg lag hinter Wien wie hinter den meisten europäischen Städten: Napoleon, der Kaiser der Franzosen, hatte seit 1792 in wechselnden Koalitionen und Allianzen Kriege in Europa geführt, um die Machtverhältnisse neu zu ordnen. Nachdem er bei Waterloo geschlagen und dann auf die Insel Elba verbannt worden war, wollten die alten Herrschaftshäuser Europas die alte Ordnung wieder herstellen.

"Es sollte ein großes europäisches Fest werden" - schreibt die Berliner Sozialwissenschafterin und Kulturpublizistin Hazel Rosenstrauch. In ihrem neuesten Buch "Congress mit Damen. Europa zu Gast in Wien 1814/15" unterzieht sie den Wiener Kongress, diesem ersten gesamteuropäischen Happening, einer Revision, einer neuen Betrachtung. Was ist in Wien wirklich verhandelt worden, wer waren die big player? Und welche Rolle kam eigentlich den Frauen auf dem tanzenden Kongress zu? Rosenstrauch kommt zu dem Ergebnis: eine große! Sie, die wohlhabenden Fürstinnen und reichen Prinzessinnen aus Frankreich, Preussen, dem Zarenreich und Wien, diskutierten, berieten, führten Salons, spionierten, liebten und lebten.

Hazel Rosenstrauch wurde 1945 als Tochter jüdisch-kommunistischer Wiener Exilanten in London geboren. 1946 kehrte die Familie nach Wien zurück. 1965 übersiedelte Rosenstrauch nach Berlin, wo sie studierte und seither - mit kurzen Wiener Unterbrechungen - zuhause ist. Von 1992 - 1994 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozioökonomie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Für die Zeitschrift "Gegenworte. Hefte für den Disput über Wissen", herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, war sie von 1997 bis 2005 redaktionell verantwortlich. Bisher sind 15 Bücher von ihr erschienen. 2012 erhielt sie den Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik.

Renata Schmidtkunz traf Hazel Rosenstrauch in Berlin.

Service

Hazel Rosenstrauch, "Congress mit Damen. Europa zu Gast in Wien 1814/15", Czernin-Verlag

Anna Ehrlich und Christa Bauer, "Der Wiener Kongress. Diplomaten, Intrigen und Skandale", Almathea Verlag Wien

Hazel Rosenstrauch, "Eitelkeit. Ein spärlicher Name für einen überquellenden Inhalt", Verlag hochroth, Wien 2013

Hazel Rosenstrauch, "Karl Huß, der empfindsame Henker. Eine böhmische Miniatur", Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2012

Hazel Rosenstrauch, "Juden Narren Deutsche: Essays", Persona Verlag, Mannheim 2010

Hazel Rosenstrauch, "Wahlverwandt und ebenbürtig. Caroline und Wilhelm von Humboldt", Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2009



Buchpäsentation in Anwesenheit von Hazel Rosenstrauch am 1.10.2014 im Wiener Rathaus am 1.10.2014 um 19.00 Uhr im Lesesaal der Wienbibliothek

Vom 1. September 2014 bis 20. Februar 2015 ist im Wiener Stadt- und Landesarchiv im 11. Wiener Gemeindebezirk die Kleinausstellung "Wien 1814/15. Die Stadt und der Kongress" zu sehen.

Sendereihe

Gestaltung