Im Gespräch

Zu sagen "Die Würde des Menschen ist unantastbar", ist falsch.
Michael Kerbler spricht mit Ferdinand von Schirach, Strafverteidiger und Schriftsteller

"Die Würde des Menschen ist unantastbar." So lautet der erste Satz der deutschen Verfassung. Dieser Satz kann durchaus als Leitsatz verstanden werden, der vorgibt, wie das Grundgesetz zu interpretieren ist. Doch wie weit ist dieser Satz von der täglichen Wirklichkeit entfernt. Wie unantastbar ist die Würde des Menschen tatsächlich?

"Das", so stellt der Strafverteidiger und Schriftsteller Ferdinand von Schirach trocken und unmissverständlich fest, "ist falsch. Denn sie wird jeden Tag angetastet." Ist der Satz aber deshalb verzichtbar? Wohl nicht, aber vielleicht ist es richtiger diesen Satz nicht als Feststellung mit Gebotscharakter, sondern als Forderung zu begreifen. "Unantastbar soll die Menschenwürde sein." Hier geht es also um Respekt, um Achtung. Um Achtung und Respekt nicht nur zwischen Menschen, sondern auch und gerade zwischen Institutionen des Staates und seinen Bürgerinnen. Und selbstverständlich ist dieser Satz, dem Gebotscharakter innewohnt, auch an jeden von uns adressiert: wir sind aufgefordert etwas tun, um unsere eigene Würde zu bewahren und auch erleben zu können. Die Würde (m)einer Person zu schützen heißt die Selbstachtung nicht zu beeinträchtigen.

Schnell wird im Gespräch mit dem Strafverteidiger und Schriftsteller Ferdinand von Schirach die Bedeutung dieser Formulierung mit Grundsatzcharakter für die Rechtsprechung insgesamt deutlich. In der österreichischen Verfassung sucht man übrigens vergeblich nach einem Leitsatz, der eine vergleichbare Wirksamkeit besitzt.

Der Schriftsteller Ferdinand von Schirach zählt zu den Spätberufenen. Er hat erst im Alter von 45 Jahren seine ersten Kurzgeschichten veröffentlicht. Schirach zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern Deutschlands. Seine Erzählbände "Verbrechen" und "Schuld" oder sein Roman "Der Fall Collini" wurden weltweit zu Bestsellern. In der vorliegenden Essay-Sammlung hat er, der Enkel des Reichsgauleiters von Wien, Baldur von Schirach ist, aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu Fragen von persönlicher Schuld und Verantwortung Stellung genommen.

Service

Ferdinand von Schirach, "Die Würde ist antastbar", Essayband, Piper Verlag
Ferdinand von Schirach, "Schuld: Stories", Erzählband, Piper Verlag
Ferdinand von Schirach, "Verbrechen: Stories", Erzählband, Piper Verlag
Ferdinand von Schirach, "Der Fall Collini", Roman, Piper Verlag
Ferdinand von Schirach, "Tabu", Roman, Piper Verlag

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