Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden" - Zum 100. Todestag des Dichters Georg Trakl. Gestaltung: Alexandra Mantler

"er passte
so gar nicht
in die uniform seiner zeit"

Von den zahlreichen poetischen Erinnerungen an Georg Trakl mag ich diese drei lapidaren Zeilen ganz besonders. Sie bilden die erste Strophe eines Gedichtes des aus Siebenbürgen stammenden und in Deutschland lebenden Schriftstellers Franz Hodjak. Georg Trakl passte in keine Uniform, doch er musste sich in sie hineinzwängen - zuerst, um sich finanziell über Wasser zu halten, und danach, weil der Erste Weltkrieg begann. Und er passt in keine Zeit. Sehr schnell streifte der Jugendliche die Gedichtsprache seiner Zeit ab und stieß zu einer einzigartigen Bildwelt vor, die in jeder Zeit ein Fremdkörper bleibt - ein produktiver Fremdkörper, der verstört und Staunen macht.

Auch hundert Jahre nach seinem Tod ist Trakls Poesie keine leichte Lektüre, und ich gestehe, dass es auch mir manchmal so ergeht wie Ludwig Wittgenstein, der über sie schrieb: "Ich verstehe sie nicht, aber ihr Ton beglückt mich." Es gibt ein Buch über Trakls Lyrik, dessen Titel ich seit vielen Jahren vor mir hertrage: "Klang und Erlösung". Trakl hat den Klang seiner Gedichte so sorgfältig und in immer wieder neuen Variationen komponiert wie kaum ein anderer, und sogar wenn ich sie nur für mich selbst lese, ist mir, als sei ihr Klang ein Gegengewicht auch noch gegen die dunkelsten Bilder, ein Gegenpol, der diese Gedichte im Gleichgewicht hält und auch mir einen Halt gibt.

Und was heißt schon: "Ein Gedicht verstehen"? Alltägliche Mitteilungen kann man verstehen oder wissenschaftliche Axiome, aber Gedichte? Was man verstanden hat, damit ist man in gewisser Weise auch fertig, an ein Ende gekommen, und kann sich Neuem zuwenden. Und das ist gut und wichtig. Aber ich würde keine der Gedichtzeilen hergeben, die mir seit Jahrzehnten durch den Kopf spuken und mit denen ich noch nie an ein Ende gekommen bin. Warum ich von den Gedichten Trakls nicht loskomme, hat die Dichterin Ilse Aichinger, die gestern 93 Jahre alt geworden ist, besser ausgedrückt als ich es je könnte:
Seine Sprache ist seine Form der Askese. In ihr bewahrt sich, was von uns verlangt wird: eine Hineingenommenheit ins Äußerste, die die Möglichkeit hat, sich zu Hilfe und Leuchtkraft zu wandeln.

Service

Werke von Georg Trakl:

Sämtliche Gedichte. Insel Verlag 2014

Das dichterische Werk. Deutscher Taschenbuch Verlag

Werke, Entwürfe, Briefe. Hrsg. v. Georg-Hans Kemper und Frank R. Max. Reclam Verlag


Werke über Georg Trakl:

Hans Weichselbaum: Georg Trakl. Eine Biographie. Otto Müller Verlag 2014

Rüdiger Görner: Georg Trakl. Dichter im Jahrzehnt der Extreme. Paul Zsolnay Verlag 2014


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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Erik Satie/1866 - 1925
Album: Klaviermusik von Erik Satie
* Nocturne Nr.1 (00:03:06)
Titel: NOCTURNES für Klavier Nr.1 - 5
Solist/Solistin: Yitkin Seow /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Hyperion CDA 66344

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