Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden" - Zum 100. Todestag des Dichters Georg Trakl. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Es ist ein Stoppelfeld, in das ein schwarzer Regen fällt
Es ist ein brauner Baum, der einsam dasteht.
Es ist ein Zischelwind, der leere Hütten umkreist.
Wie traurig dieser Abend."

Georg Trakl braucht nur wenige Verse, um eine Natur zu skizzieren, der das Entsetzen eingeschrieben ist. Die für ihn charakteristischen Farben und die genaue Komposition der Wiederholungen schaffen suggestive Bilder, die kaum jemand vergessen kann, der sich einmal auf sie eingelassen hat.

Diese vier Zeilen bilden die erste Strophe von Georg Trakls Gedicht "De profundis". Der Titel ruft den bekannten Psalm 130 auf: "Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu dir. Herr, höre meine Stimme." Doch von der Zuversicht des Psalm-Beters, vom Vertrauen auf einen Gott, der sich ansprechen lässt und die Klage hört, ist Trakls "De profundis" schmerzlich weit entfernt. Die vierte Strophe lautet:

"Ein Schatten bin ich ferne finsteren Dörfern.
Gottes Schweigen
trank ich aus dem Brunnen des Hains."

Gottes Schweigen ist intensiv erfahrbar, geradezu ein Teil der Natur. In der letzten Strophe werden auch die Engel ein Teil der Natur:

"Im Haselgebüsch
Klangen wieder kristallne Engel."

Georg Trakl, im katholischen Salzburg als Protestant aufgewachsen, bezieht viele religiöse Elemente in seine Bildwelt mit ein. Oft sind es einfache, alltägliche Lebenssituationen, die in eine sakrale Aura getaucht werden. Glocken und Orgelklänge ertönen, aber nicht in der Kirche, sondern in einem Zimmer oder auf freiem Feld. Die intime Heiligkeit des Alltags und der elementaren Lebensvollzüge - kaum einmal sind sie so überraschend sichtbar wie in Trakls Gedichten. Sie gewinnen dem christlichen Erbe ganz neue Nuancen ab - weitab von allen ausgeleierten Worten und Riten. Aber sehr schnell kann das Sakrale auch ins Bedrohliche kippen. Auch in seinen religiösen Bildern ist Trakl unverwechselbar und eigenständig. Aus ihnen spricht ein Dichter, der sich einmal selbst so beschrieben hat:

"Heimgesucht von unsäglichen Erschütterungen, von denen ich nicht weiß ob sie mich zerstören oder vollenden wollen."

Service

Werke von Georg Trakl:

Sämtliche Gedichte. Insel Verlag 2014

Das dichterische Werk. Deutscher Taschenbuch Verlag

Werke, Entwürfe, Briefe. Hrsg. v. Georg-Hans Kemper und Frank R. Max. Reclam Verlag


Werke über Georg Trakl:

Hans Weichselbaum: Georg Trakl. Eine Biographie. Otto Müller Verlag 2014

Rüdiger Görner: Georg Trakl. Dichter im Jahrzehnt der Extreme. Paul Zsolnay Verlag 2014


Kostenfreie Podcasts:
Gedanken für den Tag - XML
Gedanken für den Tag - iTunes

Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Zbigniew Preisner/1955
Gesamttitel: 10 leichte Stücke für Klavier
Titel: Meditation < Nr.2 >
Solist/Solistin: Leszek Mozdzer /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: EMI Classics 5569712

weiteren Inhalt einblenden