Gedanken für den Tag

von Johanna Schwanberg, Leiterin des Wiener Dommuseums. "Verletzbarer Meister des Plakativen" - Zum 150. Geburtstag von Henri de Toulouse Lautrec. Gestaltung: Alexandra Mantler

Ein männlicher Oberkörper in der Bildmitte. Das Gesicht liegt mehrheitlich im Dunklen verborgen. Ich meine, einen skeptischen Blick zu erkennen und große wulstige Lippen. Am meisten irritieren mich die vor dem Mann aufgetürmten Gegenstände. Sie bilden eine Barriere zwischen mir als Betrachterin und dem Dargestellten.

"Selbstbildnis vor einer Spiegelkonsole" nennt sich das skizzenhaft gemalte Ölbild des jungen Henri de Toulouse-Lautrec aus den 1880er Jahren. Es ist das einzige gemalte Selbstporträt des französischen Malers und Zeichners, der als Inbegriff des Pariser-Bohemiens in die Kunstgeschichte einging. Erstaunlich: Seine Faszination galt nahezu ausschließlich der Darstellung von Menschen. Landschaften, historische oder religiöse Themen haben ihn überhaupt nicht interessiert. Dass er sich selbst so wenig ins Zentrum seiner Kunst stellte, und wenn, dann karikaturhaft, wird verständlich angesichts seines Schicksals.

Der Sohn eines der ältesten französischen Adelsgeschlechter kam heute vor 150 Jahren als Erstgeborener in Albi, im Südwesten Frankreichs, auf die Welt. Spätestens im Alter von zehn war klar, dass der kleine Henri nicht nur ein normal schwächliches Kind war. Er litt an einer seltenen Knochenkrankheit. Hervorgerufen wahrscheinlich durch die enge Verwandtschaft der Eltern als Cousin und Cousine. Die Folge: Starke Schmerzen, zwei Oberschenkelbrüche, die nicht richtig verheilten, eine unproportionierte Figur und letztendlich eine Körpergröße von lediglich 1,52 m.

Toulouse-Lautrec starb mit nur 36 Jahren nach exzessivem Alkoholkonsum an einem Schlaganfall. Wie bei Vincent Van Gogh oder Frida Kahlo hat das tragische Leben des Montmartre-Stars lange den Blick auf dessen innovative Kunst verstellt. Mich fasziniert, wie viel jemand wie Toulouse-Lautrec trotz oder gerade wegen seiner Schicksalsschläge in einem kurzen Leben schaffen kann. Dies liegt wohl an der Konzentration auf das, was einem wirklich wichtig ist. Bei Toulouse-Lautrec war es die Kunst. So meinte er bereits als Heranwachsender in einem Brief an seinen Vater: "Jetzt bin ich ganz entschieden, mitten drin. Zeichnen, zeichnen, darum geht's."

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Georges Auric/1899 - 1983
Album: MANTOVANI'S GOLDEN HITS
Titel: Moulin Rouge/instr. / Thema a.d.gln.Film
Orchester: Mantovani Orchester
Länge: 02:00 min
Label: London 8000852

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