Gedanken für den Tag

von Johanna Schwanberg, Leiterin des Wiener Dommuseums. "Verletzbarer Meister des Plakativen" - Zum 150. Geburtstag von Henri de Toulouse Lautrec. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Mein Plakat wurde heute an den Wänden von Paris angeschlagen und ich beginne damit, ein anderes zu machen." Dies schrieb der französische Künstler Henri de Toulouse-Lautrec 1891 stolz in einem Brief an seine Mutter.

Er bezog sich damit auf sein erstes Plakat für das Varieté Moulin Rouge. Es zeigt die Cancan tanzende ehemalige Wäscherin "La Goulue" im Hintergrund; im Vordergrund die Silhouette eines bekannten männlichen Tänzers mit Zylinder, der aufgrund seiner Biegsamkeit den Beinamen der "Entknochte" erhielt. Beeindruckend an dieser Grafik sind die flächige, intensive Farbigkeit und ein spannungsvolles Verhältnis aus Schrift und Bildmotiven.

Das farbkräftige Plakat machte den Künstler über Nacht berühmt. Es war der Beginn einer erfolgreichen Serie von 30 Plakaten, die in Auflagen von bis zu 3000 Stück gedruckt und an allen Ecken und Enden von Paris affichiert wurden.

Toulouse-Lautrec führte mit seiner dekorativen Plakatkunst die Drucktechnik der Farb-Lithographie, also des Steindrucks, zur Blüte. Mit seinen unverkennbaren, am japanischen Holzschnitt orientierten Plakaten wurde er zu dem Vorbild für Werbung und Kunst gleichermaßen. Denn er hat die Barriere zwischen Kunst und Kommerz, zwischen High und Low, radikal niedergerissen.

Als Kunstwissenschaftlerin begeistern mich all die formalen und inhaltlichen Neuerungen. Aus menschlicher Sicht interessiert mich aber etwas anderes: Toulouse-Lautrec hat mit seiner Kunst genau jene Räume erobert, die ihm selbst so unerreichbar erschienen.

Zeitlebens musste er sich krankheitsbedingt immer wieder aus der Öffentlichkeit zurückziehen. Und dennoch nahm Toulouse-Lautrec mit seiner farbintensiven Plakatkunst den öffentlichen Raum auf einzigartige Weise ein. Bewegung war dem an einer Knochenkrankheit leidenden Künstler, der stets mit einem Stock unterwegs war, zeitlebens schwierig. Fing er vielleicht gerade deshalb die Bewegungsfähigkeit des Menschen durch das Darstellen von Tänzerinnen und Zirkusartisten wie kein Zweiter im Bild ein?

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Leo Ferre/1916 - 1993
Album: JULIETTE GRECO
Titel: Paris canaille
Solist/Solistin: Juliette Greco /Gesang
Orchester: Jean Michael Defaye Orchester
Länge: 02:00 min
Label: Polygram 8309552

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