Radiokolleg - Auf der Suche nach Verbundenheit

Spiritualität in einer säkularen Gesellschaft (3). Gestaltung: Johannes Kaup

Der Philosoph Friedrich Nietzsche lässt in "Fröhliche Wissenschaft" den tollen Menschen ausrufen: "Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet - wer wischt dies Blut von uns ab? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen?"

Nietzsche ist tot. Er starb 1900. Sein "toller Mensch" lebt weiter. Ebenso jene Gläubigen, die von Gottes Weiterleben überzeugt sind. In der Zwischenzeit ist aber eine wachsende Zahl an Menschen überhaupt der Meinung, dass die Frage nach Gott oder nicht Gott für ihr Leben irrelevant ist. Da stehen wir Europäerinnen und Europäer also - mitten im säkularen Zeitalter. Allerdings bedeutet "säkular" nicht gleich "antireligiös". Das hat der kanadische Politikwissenschafter und Philosoph Charles Taylor in seinem Monumentalwerk "Ein säkulares Zeitalter" deutlich herausgearbeitet. Es zeigt sich: Die Moderne konnte die Deutungen der Religion in Frage stellen, aber sie konnte die existenziellen Fragen und Nöte nicht lösen, die die Frage nach Gott überhaupt hervorgebracht haben. Der britische Philosoph und Mathematiker Alfred North Whitehead hat das auf die Formel gebracht: "Die Moderne hat Gott verloren und sucht ihn". Ob dies allerdings der Gott ist, den die traditionellen Religionen bekennen, das ist die Frage. Denn mittlerweile ist ein holistisches Milieu zwischen Wellness und neuer Spiritualität entstanden. Ganzheitliche Körperübungen, Selbsterfahrungs - und Heilpraktiken aber auch esoterische Angebote boomen in einer Zeit, in der der klassische Bekenntnisglaube zu verdunsten scheint. Aber vielleicht stimmt die klassische Säkularisierungsthese auch nicht mehr, die davon ausging, dass je moderner eine Gesellschaft wird, desto weniger religiös sie sein wird. Manche Religionssoziolog/innen sehen deutliche Zeichen dafür, dass wir bereits in einer "postsäkularen Gesellschaft" leben.

Wie dem auch sei: In unserem Alltag machen wir Lebenserfahrungen, erleben wir Aufbrüche, Krisen und Zusammenbrüche - zwischen Geburt und Tod sind wir mit fundamentalen Sinnfragen konfrontiert: Woraus leben wir? Wonach orientieren wir unsere Handlungen? Worauf hoffen wir? Was tröstet und was nicht? Was kennzeichnet die Spiritualität in einem (post-) säkularen Zeitalter? Und inwieweit stellt sie die traditionellen Religionen vor die Aufgabe, das neu zu denken und zu leben, was ihnen heilig ist? In einer radikal vermarktlichten Welt scheint die Frage nach dem Transzendenten und Absoluten neu virulent zu werden. Und unabhängig von religiösen und weltanschaulichen Lebenshaltungen zeichnet sich in der Gesellschaft eine Suche nach Verbundenheit und Verbindlichkeit ab. Johannes Kaup hat sich auf die Spurensuche nach Menschen und Bewegungen gemacht, die unter Spiritualität nicht Weltflucht verstehen, sondern mitten im Leben nach Selbstwirksamkeit und Ganzheit streben.

Service

David Steind-Rast,Anselm Grün: Das glauben wir. Spiritualität für unsere Zeit. Vier-Türme-Verlag Münsterschwarzach, erscheint am 17.1.2015

David Steindl-Rast: Einladung zur Dankbarkeit. Kreuz Verlag Stuttgart

Anselm Grün: Einfach leben. Das große Buch der Spiritualität und Lebenskunst. Herder Verlag Freiburg

Willigis Jäger: Kontemplation - ein spiritueller Weg. Kreuz Verlag Stuttgart

Willigis Jäger, Doris Zölls, Alexander Poraj: Zen im 21.Jahrhundert, Kamphausen Verlag

Robert Solomon: Spirituality for the sceptic. The thoughtful love of live. Oxford University Press

Hans-Rudolf Stucki: Spiritualität wiederentdecken. Kindern und Jugendlichen neue Lebensräume öffnen. Rex Verlag

Hans Joachim Höhn: Der fremde Gott. Glauben in postsäkularer Kultur. Echter Verlag

Sendereihe