Hörbilder Spezial

"Wenn die Stunde schlägt." Ein klingendes Brevier über die Glocke und ihre Gießer. Von Stefan Weber

Seit 5.000 Jahren umranken unzählige Sagen, Gleichnisse und Geheimnisse das vielleicht älteste Musikinstrument der Welt, wenn man von den Knochenspielen der Steinzeit einmal absieht.

Irische Wandermönche brachten die Glocke im Frühmittelalter nach Europa. Sie läutete, um Dämonen zu vertreiben, sie half, wenn Frauen unfruchtbar waren und verkürzte den Aufenthalt der Toten im Fegefeuer. Später warnten Glocken vor Sturm und Flut, sie schlugen die Zeit, riefen zur Andacht und kündigten von Geburt, Hochzeit und Tod. Und sie wurden in Kriegen zu Kanonen umgeschmolzen. Als man mit dem Bau von Kirchtürmen beginnt, wird die Kunst des Glockengießens über Jahrhunderte zum einträglichen Geschäft.

1599 kehrt der Erz-Gießer Bartholomae Grassmayr von seinen Lehr- und Wanderjahren in Deutschland heim nach Tirol und erinnert sich an seinen ersten Eintrag im Wanderbuch: 'Soli Deo Gloria' - 'Gott allein zu Ehren'. Er gießt mit Hilfe des Himmels seine erste Glocke und begründet damit die mittlerweile 415 Jahre alte Tradition des Familienunternehmens Grassmayr in Innsbruck. 'Die Sehnsucht, die Stradivari unter den Glocken' zu schaffen ist bis heute Credo der traditionsorientierten Familie.

Den Blick nach vorne indes wagt die 1367 gegründete Glocken-Gießerei H. Rüetschi in Aarau. Sie gilt zwar als das älteste aktive Schweizer Unternehmen überhaupt aber investiert mit ihrem Wissen heute vor allem in die Zukunft: Forschung mit modernster Technologie zur Werterhaltung europäischer Geläute ist der Schwerpunkt der Unternehmensphilosophie. Zusammen mit der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Kempten berechnen die Ingenieure der Gießerei unter anderem den digitalen musikalischen Fingerabdruck einer Glocke um deren Lebensdauer nachhaltig zu verlängern.

Stefan Weber hat die beiden Glockenmanufakturen in Aarau und Innsbruck besucht, in Archiven recherchiert, den Glockenwart der Pummerin in Wien bei der Arbeit 'ausgehorcht' und das Material zu einer Klangcollage zwischen Himmel und Erde verdichtet.
Redaktion: Eva Roither

Service

BUCHTIPPS
Oskar Ebermann: Dürrs Sammlung deutscher Sagen - Sagen der Technik, Hegel & Schade Berlin1929
Hans Sachs: 'Eygentliche Beschreibung aller Stände auff Erden', Frankfurt am Main 1568
Pfarrer Heinrich Otte: Glockenkunde, T. 0. Weigel, Leipzig 1884.
Kurt Tucholsky: Kirche und Wolkenkratzer, Arbeiter Illustrierte Zeitung, 1930, Nr. 6, Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 8, Reinbek bei Hamburg 1975
Christian Morgenstern: Galgenlieder, Verlag Bruno Cassirer, Berlin 1905
Wilhelm Dederichs: Kriegsglocken ein neunfach Geläute. Kriegs-Missions-Predigten, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn1915
Mateja Matevski: Glocken, aus dem Mazedonischen von Ina Jun Broda
Hans von der Sann: Sagen aus der grünen Mark, Verlag Leykam, Graz 1911

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Gestaltung

  • Stefan Weber

Playlist

Urheber/Urheberin: Stefan Weber
Titel: Glockenklang 1-13
Ausführender/Ausführende: Stefan Weber
Länge: 12:00 min

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