Zwischenruf

Oberkirchenrat Johannes Wittich (Wien)

Zwischenruf 22.2.2015

"Ein Reformator für die Westentasche"

Manchmal sind sie selbst für abgeklärte Profis noch immer überraschend, die Gesetze des Marktes. Ein deutscher Hersteller für Spielzeugfiguren musste das letzte Woche feststellen. Für das Jubiläum "500 Jahre Reformation" im Jahr 2017 hat er jetzt schon 34.000 Figuren, die den Reformator Martin Luther darstellen, hergestellt. Ein Nischenprodukt, nur für einen kleinen, eingeweihten Kreis interessant, sollte man glauben. Mitnichten! Innerhalb von 72 Stunden war die Figur ausverkauft. Die sich am schnellsten verkaufende Spielfigur in der Geschichte des Unternehmens - musste ein sichtlich perplexer Pressesprecher zugeben.

Als Protestant freut es mich natürlich zu sehen, wie plötzlich eine prägende Persönlichkeit evangelischen Denkens und Glaubens unerwartete Popularität bekommt. Allerdings: Der Spielzeug-Luther ist gerade einmal 7,5 Zentimeter groß. Ein Reformator für die Westentasche oder Hosentasche also. Über den sich als erster Eindruck sagen lässt - ich habe einen davon auf meinem Schreibtisch stehen: Lieb, herzig, aber nicht wirklich ernst zu nehmen.

Vielleicht steckt aber hinter dem großen Interesse doch mehr. Egal wie man zum Thema Religion und Politik steht: Es ist heute unbestritten, dass die prägenden Köpfe der Reformation, wie Martin Luther, Ulrich Zwingli, Johannes Calvin die Gesellschaft ihrer Zeit gehörig umgekrempelt haben. Mit Auswirkungen bis heute. Weil sie eben auf unerträgliche Fehlentwicklungen aufmerksam machten. Und auch Konzepte hatten, um diese Missstände zu bekämpfen. Dazu hatten sie offensichtlich auch die Überzeugungskraft, Mitmenschen von ihren Visionen einer gerechteren Gesellschaft zu überzeugen.

Das war auch vielleicht gar nicht so schwer. Was für die Zeit der Reformation galt, gilt teilweise auch für unsere Zeit heute: Es war eine Zeit - wir würden es heute so nennen, - des Reformstaus. Eine Zeit des politischen Stillstands. Der verhärteten Strukturen, des festbetoniert eindimensionalen Denkens. Reformen waren überfällig, die Unzufriedenheit weit verbreitet. Die politisch Verantwortlichen hatten sich eingemauert und zeigten keinen Willen zu Veränderung.

Unzufriedenheit, die auch heute artikuliert werden muss. Damit meine ich nicht Proteste a la PEGIDA. Die sind eine bewusste Inszenierung und Provokation extrem rechter Gruppierungen. Vielmehr geht es um die grundsätzliche Frage, wie Unzufriedenheit Bewegung in starres Denken und Handeln bringen kann. Wie aus Frustration Innovation wird.

Ein bisserl Reform reicht nicht aus. Das zeigen all die aktuellen Debatten, seien es die über Bildung, Gesundheitswesen, Steuersystem oder Asylrecht. Hier wird geflickt und ausgebessert, kaschiert und beschönigt. Letztlich fehlt der Mut zu einem großen Wurf.

Dann schaue ich mir den kleinen Spielzeug-Luther an und denke mir: Das war einer, der bereit gewesen ist, ganz neben dem Bestehenden her und über das Festgefahrene hinaus zu denken.

Keine Angst: Das ist jetzt kein Ruf nach einem neuen Luther oder Zwingli oder Calvin. Aber vielleicht ist es doch gut, dass so eine Figur jetzt ein paar zehntausend Mal Eingang in Kinderzimmer gefunden hat. Ein Querdenker. Einer mit dem Mut, gegen den Strich zu argumentieren. Einer, zu dessen Wortschatz Begriffe wie "Sachzwang", "pragmatisch" oder "politisches Kalkül" nicht gehört haben. Ein Vorbild für Kinder? Ganz sicher. Ein Vorbild für kreativen Widerspruchsgeist. Ein Mensch, der sich nicht einfach in die Tasche stecken lässt.

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