Gedanken für den Tag

von Saskia Jungnikl, Journalistin. "Das Ende, der Anfang". Gestaltung: Alexandra Mantler

Tod und Trauer

Mein Vater ist 2008 gestorben, da war ich 27 Jahre alt. Er hat sich erschossen. In den Jahren darauf war die Trauer nur eines der bestimmenden Gefühle in meinem Leben - neben Wut und Verzweiflung, Angst und Schuld. Doch sie ist am längsten geblieben. Mit seiner Trauer fühlt man sich in unserer Gesellschaft oft alleine. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, wir wollen in der Spur bleiben, und uns nicht abhängen lassen. Wenn alle anderen scheinbar funktionieren, dann müssen wir das doch auch schaffen.

Es war eine harte Lektion, die ich in den Jahren nach dem Tod meines Vaters gelernt habe: Trauer gibt einen Dreck auf meine Ungeduld. In unserer Gesellschaft lernen wir, dass wir nach einer gewissen Zeit wieder zu funktionieren haben. Der Tod hat keinen Platz im Leben. Wir drängen das Sterben und das Lebensende immer weiter an den Rand und dabei ist doch beides immer unter uns. Nur sichtbar gemacht wird es nicht. Dabei wäre das wichtig.

Trauer hat keine Deadline. Wir verlernen Geduld mit uns selbst zu haben. Wir verarbeiten nicht mehr nach unserer eigenen inneren Uhr, sondern orientieren uns an Ratgeberbüchern. Aber vielleicht brauche ich vier Jahre statt vier Monate, um mit meiner Trauer vollständig umgehen zu können. Vielleicht kommt bei mir nach meiner dritten Trauerphase wieder Phase Eins. Wer kann mir das sagen? Und ist es überhaupt wichtig?

Denn selbst wenn es irgendwann besser wird, gibt es lange Zeit auch schlechte Momente, die einen plötzlich überfallen können. Die Trauer in Wellen, die kommt und geht. Und selbst setzt man sich am meisten unter Druck. Niemand trauert gerne. Doch oft ist die Trauer da und mit ihr auch die Angst, sie in der Öffentlichkeit zu zeigen und mit Freunden darüber zu reden. Dabei kann diese Offenheit hilfreich sein und ja, sie kann einen auch erkennen lassen, wann es besser ist, professionelle Hilfe anzunehmen.

Es war ein befreiender und wichtiger Moment für mich, zu verstehen, dass ich nie wieder so sein werde, wie vor dem Tod meines Vaters. Weil das nicht wichtig ist. Weil das Ziel ist, Trauer und Schicksalsschläge im Leben integrieren zu können und dennoch ein glücklicher Mensch zu sein. Das wird nicht passieren, wenn es keine Geduld und Nachsicht mit sich selbst gibt. Und die Sicherheit, dass mich schwache Momente in meinem Leben nicht zu einem schwachen Menschen machen.

Service

Buch, Saskia Jungnikl, "Papa hat sich erschossen", Verlag Fischer

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Zbigniew Preisner/geb.1955
Gesamttitel: ELISA / Original Filmmusik
Titel: Nocturne II/instr.
Solist/Solistin: Konrad Mastylo /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Philips 5267502

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