Gedanken für den Tag

von Saskia Jungnikl, Journalistin. "Das Ende, der Anfang". Gestaltung: Alexandra Mantler

Trauer und Glaube

Vor kurzem habe ich die Geschichte einer Freundin gelesen, die berührend darüber schreibt, wie sehr sie der Tod ihrer 97-jährigen Großmutter mitgenommen hat. Fast entschuldigend schreibt sie, dass sie selbst schon 43 ist und wie sehr ihr die Oma dennoch fehlt. Sie rücke jetzt vor in die nächste Generationenreihe. Wenn jemand stirbt, kommen komische Gedanken, schreibt sie. Sie denke über das Leben nach, und über den katholischen Glauben der Oma.

Vielleicht erinnert auch gerade diese Zeit, die im Christentum als Fasten- oder Passionszeit begangen wird, Menschen an die Endlichkeit des eigenen Lebens. Viele Menschen suchen in Trauerphasen Halt, Geborgenheit und Sicherheit in ihrem Glauben. Sie wollen darauf vertrauen, dass es Gottes Wille war, den geliebten Menschen zu sich zu nehmen und dass dieser nun befreit von irdischen Qualen in Frieden ruht.

Hinterbliebenen von Suizidanten macht es die Kirche jedoch schwer, Hilfe im Glauben zu finden. In der katholischen Kirche ist der Suizid eine Sünde. Es heißt: Gott hat das Leben gegeben und nur Gott darf das Leben wieder nehmen. Der Suizid ist das Handeln wider den Willen Gottes. Bis in die 80er-Jahre war es verboten, Selbstmörder auf christlichem Boden zu beerdigen. Vor allem auf dem Land, dort, wo meine Familie lebt, hat diese Ächtung dazu geführt, dass sich noch immer viel zu viele für den Suizid eines Verwandten schämen. Wo andere Todesursachen erfunden werden, damit man sich nicht der Gefahr einer Verurteilung aussetzt. Das sollte nicht sein. Wer gerade einen geliebten Menschen verloren hat und Unterstützung und Zuspruch benötigt, sollte nicht das Gefühl haben, sich für dessen Tod rechtfertigen zu müssen.

Mein Vater hat spät zum Glauben gefunden. Mit fünfzig hat er sich entschieden, evangelisch zu werden, er wurde Lektor und hat sich in der Gemeinde engagiert. Der Pfarrer wurde zu einem guten Freund von ihm. Ich habe ihn einmal gefragt, ob es schwierig für ihn war, die Predigt auf der Beerdigung meines Vaters zu halten. Ja, sagt er, weil mein Vater ein Freund war. Nein, sagt er, weil Gott keinen Unterschied macht, weil er gerade für diejenigen da ist, die mit ihrem Leben hadern und schließlich nicht mehr leben können oder mögen. Mein Vater war ein gläubiger Mensch und ich hoffe, dass er an diesen verzeihenden Gott geglaubt hat.

Service

Buch, Saskia Jungnikl, "Papa hat sich erschossen", Verlag Fischer

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Zbigniew Preisner/geb.1955
Gesamttitel: TROIS COULEURS: BLANC / Original Filmmusik
Titel: Morning at the hotel
Anderer Gesamttitel: DREI FARBEN: WEISS / Original Filmmusik
Ausführende: The String Sextett
Ausführender/Ausführende: Zbigniew Paleta /Violine
Länge: 01:50 min
Label: Virgin 394722

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