Gedanken für den Tag

von Brigitte Schwens-Harrant, Theologin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung "Die Furche". Gestaltung: Alexandra Mantler

Assia Djebar

"Warum immer nur Tod? Warum über den Tod schreiben?", fragte die am 6. Februar dieses Jahres verstorbene algerische Schriftstellerin Assia Djebar einmal in einer Rede und antwortete selbst: "Das Schreiben, dem ich mich in dem algerischen Unglück widme, ist ein Alarmsignal, ein Hilferuf (zur Hilfe für mich selbst?). Es ist die schwebende Zwiesprache mit dem Freund, auf den die Hacke niederging, in dessen Kopf die Kugel einschlug, während du weiterlebst, während du dich nach der kleinsten Einzelheit fragst, kurz bevor er oder sie, die du gekannt hast, zum Opfer, zur Leiche erstarrt sind, verstummt! Schreiben ist also ein Tanz mit Phantomen, und solange man selbst lebt, durchströmt einen das Bedürfnis zu erzählen als einziger Antrieb. Der rote Faden der Erzählung hält einen aufrecht, der Wille, etwas zu sagen oder der ungebärdige Wunsch, nicht zu vergessen."

Der Wunsch, nicht zu vergessen: Die Schriftstellerin und Filmemacherin Assia Djebar wusste als Historikerin um das Vergessen auch durch die offizielle Geschichtsschreibung. Denn diese war immer perspektivisch: im Fall von Algerien, der Heimat von Assia Djebar, war sie französisch, bzw. europäisch - und männlich. Und sie war äußerst fragmentarisch.

Was also kann die Schriftstellerin tun? Sie schreibt die offizielle Geschichte weiter. Für ihren Roman "Fantasia" etwa hat die Literatin die auf Französisch verfassten schriftlichen Dokumente aufgegriffen, jene Quellen also, die traditionellerweise Geschichte formten: Militär- und Verwaltungsberichte, Tagebücher und Briefe, die von den Kämpfen während der französischen Eroberung Algeriens im 19. Jahrhundert berichten. Was man da findet, ist unfassbar. Da wird etwa ein ganzer Stamm durch Ausräuchern ermordet und in den Berichten findet sich der lapidare Eintrag: "Das Problem war erledigt." Da finden sich Briefe, deren Schreiber sich an den Schlachten berauschen.

Doch Djebar belässt es nicht bei diesen Dokumenten. Sie ergänzt die Geschichte durch bisher ungehörte Stimmen, nämlich der Berberfrauen, die Djebar über die Gräuel des algerischen Befreiungskrieges zwischen 1954 und 1962 befragt hat. "Wie kann man den Lauten der Vergangenheit entgegentreten, neben dem Abgrund vergangener Jahrhunderte?", fragt Djebar in ihrem Roman. Und die poetische Antwort liegt in ihrer Literatur: "Welche Liebe sucht sich, welche Zukunft zeichnet sich ab trotz des Rufes der Toten, und in meinem Körper erbeben leise verschüttete Generationen, die meine Vorfahren waren."

Service

Buch, Assia Djebar, "Fantasia", Unionsverlag

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Traditional
Komponist/Komponistin: Armenien
Bearbeiter/Bearbeiterin: Boris Bunjac /Arrangement/geb.1962
Album: SPARKS IN THE DARKNESS - OLD BALKAN LOVE SONGS
Titel: Balbur Id
Anderssprachiger Titel: Wie eine Nachtigall
Solist/Solistin: Barbara Berry /Gesang m.Begl.
Ausführender/Ausführende: Boris Bunjac /Synthesizer, Darabuka, Tapan, Percussion
Ausführender/Ausführende: Georges Grujic /Duduk, Frula, Zurna, Bullhorn, Blockflöte
Ausführender/Ausführende: Darko Karajic /Gitarre, Arabische Laute
Ausführender/Ausführende: Igor Vasiljevic /Violine
Länge: 02:00 min
Label: cpo 9993072

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