Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Arbeit an der Zukunft" - Zum 10. Todestag des Schriftstellers Carl Amery. Gestaltung: Alexandra Mantler

Carl Amerys bekanntes Buch "Das Ende der Vorsehung" trägt den Untertitel "Die gnadenlosen Folgen des Christentums". In einem Gespräch sagte er mir dazu: "Ich warne davor, den Titel einseitig zu sehen. Der Untertitel "Die gnadenlosen Folgen des Christentums" setzt voraus, dass es natürlich auch gnadenreiche gibt, die ich durchaus anerkenne. Ich sehe mich natürlich selbstverständlich in der christlichen Tradition." Carl Amery glaubte bis zuletzt an die spirituellen Ressourcen der christlichen Kirchen. Sein 2002 erschienenes Buch "Global Exit" mit dem Untertitel "Die Kirchen und der Totale Markt" ist ein flammender Appell an diese Kirchen, sich gegen diesen globalen Markt zu stemmen, dessen Beschreibung bei Amery so beginnt:

"Der Totale Markt erfüllt alle Kriterien einer Religion. Sein Dogmenbestand ist transzendenzarm und banal. Seine oberste Maxime lautet: Alles hat seinen Preis, und wenn etwas noch keinen hat, wird er ihm angeheftet."

Carl Amery sieht den Totalen Markt als Todesmaschine, in dessen Zentrum die Formel steht: "Es gibt keine Alternative." Und er diagnostiziert am Totalen Markt alle Merkmale der römischen Reichsreligion, aus der sich das Christentum emanzipiert hat. Diesen Exodus müssen die Kirchen noch einmal wagen. Sonst, so Amery, müssen sie zusehen, wie die Seelsorge des Totalen Marktes die Seelengrundlagen für ihre Botschaft zerfrisst und die Praxis des Totalen Marktes die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstört.

Am Ende seines mit literarischen Bildern und biblischen Zitaten durchsetzten Plädoyers fordert Amery neue Kulturen - er nennt sie "Kulturen der wirklichen Emanzipation, der Herrschaft über unsere Bedürfnisse, des synergetischen Zusammenlebens mit den Bedingungen der Schöpfung."

Ob solche Kulturen möglich sind? Carl Amerys Hoffnung war zwar klein, doch er verfiel nie in Hoffnungslosigkeit und Pessimismus. Er verstand sich als Prophet - aber nicht vom Typ Kassandra, deren Warnungen nichts bewirken, sondern vom Typ Jona, der Ninive bekehrte. Mir sind Propheten ja bald einmal zu rigide und monomanisch. Aber nicht Jona, der ironische Prophet; und nicht Carl Amery. Beide haben nicht nur argumentative Kraft, sondern auch einen großen Charme.

Service

Buch, Carl Amery, "Arbeit an der Zukunft", Sammlung Luchterhand
Buch, Carl Amery, "Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt", btb-Taschenbuch
Buch, Carl Amery, "Hitler als Vorläufer", Sammlung Luchterhand
Buch, Carl Amery, "Die Wallfahrer", Sammlung Luchterhand
Buch, Carl Amery, "Das Geheimnis der Krypta", Sammlung Luchterhand

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Vincent D' Indy/1851 - 1931
Album: FRANZÖSISCHE KAMMERMUSIK
Titel: Sarabande und Menuett, op.24 - für Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn und Klavier
* Menuett (00:03:32)
Solist/Solistin: Catherine Cantin /Flöte
Solist/Solistin: Maurice Bourgue /Oboe
Solist/Solistin: Michel Portal /Klarinette
Solist/Solistin: Pascal Roge /Klavier
Solist/Solistin: Amaury Wallez /Fagott
Solist/Solistin: Andre Cazalet /Horn
Länge: 02:00 min
Label: Decca 4258612

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