Gedanken für den Tag

von Walter Friedl, Außenpolitik-Journalist bei der Tageszeitung Kurier und Theologe. "Ich bin immer ich". Gestaltung: Alexandra Mantler

Ich, drei Buchstaben - und doch haben wir im Kern nicht mehr, die Lateiner auch nicht. Allerdings besteht zwischen Ego-ismus und einem authentischen Auftreten ein riesiger Unterschied: Ich-Sein heißt nicht, rücksichtslos die Ellenbogen auszufahren und alles und jeden umzurempeln. Ich-Sein heißt für mich, der eigenen Identität nachzuspüren, die eigenen Wesensmerkmale zu erkennen, auch die negativen, mich dann als Person zu akzeptieren, wie ich eben bin, und dies authentisch nach außen zu repräsentieren.

Nicht im Sinn von "Take it or leave it". Aber wenn ich auf dieser festen Basis stehe, habe ich die Sicherheit, Meinungen und Haltungen - die von anderen, aber auch meine eigenen - angstfrei überdenken zu können, sie gegebenenfalls aber auch zu revidieren.

Ein Beispiel: Wenn mein Ressortleiter eine Story, die mir sehr am Herzen liegt, partout nicht in der Zeitung haben will, kämpfe ich trotzdem dafür. Dann beginnt idealtypisch die Schlacht der Argumente. Hat er die besseren auf seiner Seite, habe ich natürlich kein Problem damit, das anzuerkennen. Okay, dann habe ich mich eben verrannt.

Aber ohne prinzipielle Ausrichtung, ist das Navigieren unmöglich. Ich weiß nicht, wo ich bin und wohin ich will. Ein klarer Kurs ist wichtig, sonst scheitert jeder Versuch der Umkehr.

Und nur auf diesem tragfähigen Fundament kann ich auch meine individuelle Freiheit, nein zu sagen, voll entfalten. Nein zu Ungerechtigkeiten, nein zu Gewalt, nein zu Ausländerhass. Wenn ich dagegen nicht ich bin, sondern eine Rolle spiele, gerät mein Einspruch zu einem leeren Lippenbekenntnis, weil das Feuer der innersten Überzeugung fehlt.

Insofern wohnt Authentizität sogar ein politisches Momentum inne: Klare Standpunkte sind gefragt, von denen aus man frei und laut die Stimme erheben kann, wenn es denn notwendig wird - statt sich feige zu verdrehen.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Astor Piazzolla/1921 - 1992
Bearbeiter/Bearbeiterin: Pablo Ziegler /Bearbeitung
Album: LOS TANGUEROS
Titel: Libertango / Bearbeitung für zwei Klaviere
Anderssprachiger Titel: Tango
Solist/Solistin: Emanuel Ax /Klavier
Solist/Solistin: Pablo Ziegler /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Sony Classical SK 62728

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