Zwischenruf

von Prof. Susanne Heine (Wien)

Heiße Debatten im Herbst - Ein evangelischer Blick auf das Zweite Vatikanische Konzil

Im September vor 50 Jahren wurde die 4. und letzte Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils eröffnet, das am 8. Dezember endete.

Die Sitzungen begannen immer im Herbst und dauerten etwa drei Monate. Innerhalb von drei Jahren, von 1962 bis 1965, wurden insgesamt 16 Dokumente verabschiedet. Das Konzil, vom Papst Johannes XIII. initiiert und von Papst Paul VI. weitergeführt, wollte ausdrücklich eine Erneuerung der römisch-katholischen Kirche "aus ihrem Ursprung heraus" herbeiführen. Besonders zwei Dokumente sind nach außen gerichtet. Das Ökumenismus-Dekret "Unitatis redintegratio" spricht die Evangelischen an, die kurze Erklärung über das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen "Nostra aetate" die Juden und die Muslime.

Noch 1928 hatte sich Papst Pius XI. in aller Schärfe von der Ökumenischen Bewegung distanziert. Es sei den Katholiken nicht erlaubt, an ökumenischen Konferenzen teilzunehmen. Dann kam es umgekehrt, denn das Konzil lud namhafte Vertreter aus den Kirchen der Reformation als Beobachter ein. Sie konnten nicht öffentlich sprechen, sich aber an der Diskussion über die Textentwürfe beteiligen. Für mich als Evangelische bedeutete es eine enorme Öffnung, dass im Dekret die Ökumenische Bewegung auf die "Einwirkung der Gnade des Heiligen Geistes" zurückgeführt wird. Das Konzil wollte zur Überwindung der Kirchenspaltung beitragen und bat "Gott und die getrennten Brüder um Verzeihung, wie auch wir unseren Schuldigern vergeben". Empfohlen wurden, "Geist und Sinnesart der getrennten Brüder" wohlwollend zu studieren, und gemeinsame Forschungsarbeit zu theologischen Fragen auf gleicher Augenhöhe.

In Bezug auf die Juden hält das Konzil fest, dass Christus und die Apostel dem jüdischen Volk entstammen, mit dem Gott einen unwiderruflichen Bund geschlossen hat. Ein gängiges Vorurteil wird klar zurückgewiesen: "Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen." Angesichts des gemeinsamen geistlichen Erbes beklagt das Konzil Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus und fordert dazu auf, "die "gegenseitige Kenntnis und Achtung" zu fördern und dafür zu sorgen, dass niemand in Katechese oder Predigt die Juden "als von Gott verworfen oder verflucht" darstellt, denn das sei aus der Heiligen Schrift nicht zu entnehmen.

Ein Abschnitt ist den Muslimen gewidmet, die das Konzil mit Hochachtung betrachtet, weil sie den "alleinigen Gott anbeten". Ebenso verehren sie Jesus, wenn auch nur als Propheten, und halten seine jungfräuliche Mutter in Ehren. Hervorgehoben wird auch, dass die Muslime die Auferweckung aller Menschen von den Toten und den Tag des Gerichts erwarten. Das Konzil ermahnt, alle früheren Feindschaften beiseite zu lassen und "sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen".

Diese Würdigung der anderen Religionen steht unter einer für mich hoch aktuellen Überschrift: Da alle Menschen nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, worin Menschenwürde und -rechte begründet liegen, darf keinem Menschen, welcher Religion oder welchem Volk er auch angehört, die "brüderliche Haltung" verweigert werden.

Ich nehme schon wahr, dass das Konzil den Boden des kirchlichen Lehramtes nicht verlassen hat, wenn es z.B. heißt, "nur durch die katholische Kirche Christi, die das allgemeine Hilfsmittel des Heiles ist, kann man Zutritt zu der ganzen Fülle der Heilsmittel haben". Aber es wurde im Rahmen des damals Möglichen ein überaus bedeutender Anfang für Verständigung und Frieden gesetzt. Vieles von der Saat des Zweiten Vatikanischen Konzils ist aufgegangen und hat die Welt weit über Kirchengrenzen hinaus politisch bewegt; vieles ist auch stecken geblieben. Das Konzil wartet darauf, weiter gedacht und umgesetzt zu werden. Es ist nie zu spät, weiter zu säen, in allen Kirchen und Religionen, um eine noch bessere Ernte einzufahren.

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