Zwischenruf

von Militärsuperintendent Karl-Reinhart Trauner (Wien)

Die vielen Dimensionen des Denkens

Die einen sagen: Religion lehrt die Gottes- und Menschenliebe und verpflichtet zu Toleranz. - Die anderen sagen: Religion bringt nur Konflikte und Krieg. Die einen sagen: Soldatinnen und Soldaten bieten Menschen Schutz und Hilfe in Extremsituationen. - Die anderen sagen: Soldaten sind Mörder. Die einen sagen: Werte sind die unumgängliche Basis einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung. - Die anderen reden von einer Tyrannei der Werte.

Ich denke mir: Ein Schwarz-Weiß-Denken stimmt nie. Die allermeisten Religionen lehren tatsächlich Gottes- und Menschenliebe und damit auch Toleranz, aber es gibt viele Beispiele, auch aus dem Christentum, dass Religion auch zu untolerierbarer Gewalt geführt hat.

Soldatinnen und Soldaten schützen und helfen - wie in der Flüchtlingskrise in Österreich - als wichtiges Instrument des Staates Menschen, aber Soldatinnen und Soldaten können auch zu Mördern werden, wenn sie Gewalt nur um der Gewalt willen, mutwillig und rechtswidrig anwenden.

Das ist ein Thema, das mir als Militärsuperintendenten des Österreichischen Bundesheeres natürlich sehr am Herzen liegt. Gerade angesichts des morgigen Nationalfeiertags soll auch gesagt werden - und ich weiß das auch aus persönlichen Gesprächen -, wie kompliziert und persönlich fordernd der militärische Dienst angesichts der neuen Herausforderungen beispielsweise bei der Flüchtlingsbetreuung ist.

Welche Rolle Soldatinnen und Soldaten wahrnehmen oder ob die Religion Menschenliebe oder Menschenhass predigt, das ist nicht zuletzt eine Frage, an welchen Werten sie sich ausrichten.

Werte sind Maß- und Richtstab des Handelns, sind Ausdruck dessen, was gut und was schlecht eingestuft wird. Sie helfen, das Handeln einzuordnen und zu markieren, zu be-Werten. Und für das Handeln gilt, was die Bibel so formuliert: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten." Das stammt aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer (12, 21), aber dieser Grundsatz gilt inhaltlich zweifellos über den rein christlichen Bereich hinaus.

Dass kein Schwarz-Weiß-Schema die Wirklichkeit erfassen kann und sich unser Leben sich im Normalfall in verschiedenen Grauschattierungen zwischen Schwarz und Weiß bewegt, macht das Leben nicht unbedingt einfacher. Allerdings ist mir auch etwas anderes ganz klar: Auch wenn ich alle plumpen Etikettierungen ablehne und mehrere Ebenen erkenne, selbst dann bleibt das Böse bös und das Gute gut. Der ärgste Verbrecher bleibt ein Mensch und bedarf der liebevollen Zuwendung - aber seine Tat wird dennoch nicht ungeschehen, selbst wenn ich sie nachvollziehen kann. Ein Verbrechen bleibt ein Verbrechen und wird deshalb keine Wohltat.

Ein Freund und Kollege, mit dem ich über den heutigen "Zwischenruf" diskutiert habe, hat dabei aber einen interessanten Vergleich gezogen. Die wahrscheinlich wichtigste Möglichkeit der Wahrnehmung ist für den Menschen das Sehen, hat er gesagt, und dabei fällt auf, dass er zwei Augen hat. Das heißt, wir haben eigentlich zwei verschiedene Wahrnehmungen, und unsere Leistung ist es, aus diesen zwei Perspektiven ein Bild für uns zu machen. Im Leben gibt es noch viel mehr Perspektiven .

Erst durch diese verschiedenen Blickwinkel bekommt das Denken eine Tiefe, eine Mehrdimensionalität; . und wird so zum Erkennen, zur Erkenntnis.

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