Menschenbilder

Am Rande des Abgrunds - der Philosoph und Denker André Glucksmann. Gestaltung: Petra Herczeg & Rainer Rosenberg

In der Nacht auf Dienstag starb der französische Philosoph André Glucksmann im Alter von 78 Jahren. 2007, kurz nachdem sein autobiografisches Buch - "Une rage d'enfant"/ "Wut eines Kindes, Zorn eines Lebens" - erschienen war, wurde für die "Menschenbilder" ein langes Gespräch auf Deutsch aufgenommen; diese Sendung wird nun am Sonntag, dem 15. November wiederholt.

André Glucksmann sagte einmal von sich, er sei am Rande des Abgrunds geboren worden - 1937 in Paris, wohin seine jüdischen Eltern geflohen waren. Die folgende Zeit war geprägt vom Tod des Vaters auf einem Flüchtlingsschiff und einer Mutter, die ihre Kinder mit viel Mut und auch Glück durch die Zeit des Krieges brachte. Nach dessen Ende kehrt Glucksmanns Mutter nach Wien zurück. Er bleibt allein in Paris zurück - tritt mit 13 in die Kommunistische Partei ein, mit 18 wieder aus. 1968 engagiert er sich in der Studentenbewegung und ist mit Jean Paul Sartre und den anderen Existenzialisten zusammen. Mitte der 1970er Jahre schreibt er zwei Aufsehen erregende Bücher: über das Verhältnis von Staat, Marxismus und Konzentrationslager in "Köchin und Menschenfresser" und in "Die Meisterdenker" setzt er sich mit den sogenannten Linksintellektuellen auseinander und verurteilt deren Hang zum Totalitären.

Glucksmann kämpft gegen die Mao-Verehrung der französischen Intellektuellen (die er selbst kurze Zeit geteilt hatte) und setzt sich immer wieder für verfolgte Menschen ein: für die boatpeople aus Vietnam, er fährt im Jahr 2000 heimlich nach Tschetschenien, ist in Bosnien und kurz nach der Revolution 1989 in Rumänien.

In seinem Buch "Die Macht der Dummheit" verurteilte er die "einmal naive, einmal träge Ignoranz" der Intellektuellen. Und in "Hass - Die Rückkehr einer elementaren Gewalt" schrieb er, dass Terrorismus nicht unmittelbar mit Unterdrückung einhergehe, sondern dass das Leiden der Armen bloß als Vorwand verwendet werde, um der Brutalität freien Lauf zu lassen.

Im Jahr 2012 sind "Philosophie des Widerstands: Sokrates oder Heidegger", auf Französisch im Jahr 2014 "Voltaire contre-attaque" erschienen, eine, wie "Liberation" schrieb, "Ode an die kosmopolitische Freiheit". In seinen Erinnerungen "Wut eines Kindes, Zorn eines Lebens" zeigte sich als für sein Denken wesentlich sich immer am Rande des Abgrunds zu bewegen, nie aufzugeben und zu versuchen, nie wegzusehen und sich gegen Ungerechtigkeiten einzusetzen.

Service

Bücher:
Voltaire contre-attaque, Robert Laffont, Paris, 2014.
Les deux chemins de la philosophie, 2009, deutsch: "Philosophie des Widerstands: Sokrates oder Heidegger". Übersetzt von Helmut Kohlenberger und Dorothea Resch in Zusammenarbeit mit Wilhelm Donner, Passagen Verlag, Wien, 2012
Une rage d'enfant (2006), deutsch: Wut eines Kindes, Zorn eines Lebens. Erinnerungen. Übersetzt von Bernd Wilczek, Nagel & Kimche, München, 2007
Le Discours de la haine (2004), deutsch: Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt. Übersetzt von Bernd Wilczek & Ulla Varchmin, Nagel & Kimche, München
De Gaulle où es-tu? (März 1995), deutsch: Krieg um den Frieden. Übersetzt von Ursel Schäfer, DVA, Stuttgart 1996
Descartes c'est la France (Oktober 1987), deutsch: Die cartesianische Revolution. Von der Herkunft Frankreichs aus dem Geist der Philosophie, Deutsch von Helmut Kohlenberger, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1989
Silence, on tue (Oktober 1986), mit Thierry Wolton, deutsch: Politik des Schweigens. DVA, Stuttgart 1987
La Bêtise (März 1985), deutsch: Die Macht der Dummheit. DVA, Stuttgart, 1985
La Force du vertige (November 1983), deutsch: Philosophie der Abschreckung DVA, Stuttgart Mai, 1984
Les Maîtres penseurs (März 1977), deutsch: Die Meisterdenker. DVA, Stuttgart, 1987
La Cuisinière et le Mangeur d'Hommes, réflexions sur L'état, le marxisme et les camps de concentration (1975), deutsch: Köchin und Menschenfresser - Über die Beziehung zwischen Staat, Marxismus und Konzentrationslager, 1976

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