Zwischenruf

von Gisela Ebmer (Wien)

Im Sommer hat mich eine Nachbarin gefragt: "Sag, was sagst du dazu: Wenn sich jetzt dann Flüchtlinge integrieren sollen, wie tut man da, wenn ein muslimischer Mann es verweigert, einer Frau die Hand zu geben?"

Ich habe mich bei dieser Frage an eine Situation in Rumänien erinnert. Da war ich vor vielleicht 15 Jahren auf einer internationalen Konferenz und wir hatten am Sonntag einen Besuch in einer evangelisch-reformierten Pfarrgemeinde. Vor dem Gottesdienst wurden wir als Gäste von allen Presbytern begrüßt. Es war dort üblich, dass man als Dame mit Handkuss begrüßt wird. Mir war dies eher fremd und vor allem bei Männern, die meine Hand besonders fest hielten oder besonders intensiv küssten, war mir das unangenehm. Bis mir dann eine rumänische Pfarrerin erklärt hat, dass ich meine Hand ganz bewusst so reichen muss, dass das Gegenüber weiß, ob ich einen Handkuss möchte oder nicht. Ab diesem Zeitpunkt habe ich meine Hand so gehalten, dass man sie schütteln konnte, aber nicht küssen.

Ich glaube nicht, dass aus meiner Handhaltung irgendjemand eine Missachtung von Männern abgelesen hat. Es war einfach meine gewünschte Art, jemanden zu begrüßen und diese wurde respektiert.

Anders ist dies bei der Frage meiner Nachbarin: Immer wird darüber gesprochen, dass es eine Missachtung von Frauen darstellt, wenn ein Muslim einer Frau nicht die Hand reicht. Was aber ist der Unterschied zwischen meiner Verweigerung des Handkusses und der Verweigerung eines Moslems mir die Hand zu geben?

Am Schulanfang in der 1. Klasse Gymnasium mache ich immer eine Stunde zum Thema "Grüßen". Den Kindern wird sehr schnell klar, dass es unzählige Formen des Grüßens gibt: viele verschiedene Worte, die ich verwenden kann, aber auch eine große Zahl an Möglichkeiten, die mir mein Körper gibt. Und dann kommt noch dazu, dass die Kinder ihre Eltern anders grüßen als ihre Freunde und Freundinnen und diese noch einmal anders als ihre Lehrer und Lehrerinnen. Im Unterricht stehen sie auf, wenn ich die Klasse betrete, so begrüßen sie mich. Mit den Freunden klatschen sie einander rechte Hand in rechte Hand, Mädchen geben einander auch Bussis. Und man klopft einander auf die Schulter, manche umarmen sich. Am Gang treffen mich Blicke von Schülerinnen, die mich kennen und mich durch Blickkontakt begrüßen, andere rufen quer durch das Schulhaus: "Grüß Gott, Frau Professor". Untereinander sagen sie "Hallo" oder "Hey". Der erste Gruß, den ganz kleine Kinder lernen, ist das Winken.

Als ich meinen Onkel in Thailand besuchte, habe ich gelernt, dass man einander nicht berührt beim Begrüßen: Man legt beide Hände vor der Brust zusammen, wie zum Gebet und verneigt sich vor dem anderen.

Warum soll ich im Angesicht dieser Vielfalt an Begrüßungen auf dem Hände-Geben beharren? Ich habe mit Muslimen über dieses Tabu gesprochen. Und habe verschiedene Erklärungen bekommen: Unter anderem jene, dass Männer Frauen nicht berühren wollen, weil es wie eine unsittliche Annäherung wirken könnte. Es ist Respekt vor der Frau, wenn man sie nicht körperlich berührt. Ein muslimischer Kollege hat mir nach einer Konferenz die Hand gegeben, weil er sich in Österreich gut angepasst hat, aber gegenüber meiner muslimischen Kollegin hat er die rechte Hand auf sein Herz gelegt und ihr gegenüber eine kleine Verbeugung gemacht. Ich habe das sehr einfühlsam, sehr sensibel gefunden und mir hat auch die Verabschiedung mit Hand aufs Herz sehr gut gefallen, ich würde sie auch mir gegenüber sehr nett finden und wahrscheinlich in dieser Form erwidern.

Wenn ich jemanden begrüße heißt das, ich mache auf mich aufmerksam, ich zeige, ich bin da. Es heißt auch, ich nehme die anderen wahr, sie sind da. Und ich stelle eine Verbindung her. Und diese Verbindung ist vielleicht ganz, ganz zart und vorsichtig, ein Blick, eine kleine Geste, ein Lächeln. So wie Gott dem Propheten Elia in einem kleinen, leisen Windhauch begegnet ist und Elia ihn daran erkannt hat.

Viel Feingefühl ist wichtig im Spagat zwischen Tradition, Höflichkeit, Kultur, familiärer Gepflogenheit, persönlicher Vorliebe, spontanem Gefühl und dem Eingehen auf mein Gegenüber. Und das werden wir dringend brauchen in den nächsten Jahren bei der Integration von fremden Menschen in unserem Land.

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