Gedanken für den Tag

von Petra Ramsauer, Journalistin. "Tage der Hoffnung" - Zum 5. Jahrestag des "Arabischen Frühlings". Gestaltung: Alexandra Mantler

Keine Sekunde würde Hana al Gallal heute zögern, wieder, genauso wie damals, auf Straße gehen. Auch mit dem Wissen von heute. Das sagte sie mir erst vor wenigen Tagen.

Mehr als ein Dutzend ihrer Verwandten und Freunde sind tot, umgekommen bei Unruhen im postrevolutionären Libyen. Ihre "Uni" in Bengasi, wo sie gelehrt hatte, ist zerstört. "Es war eine nicht verhandelbare Notwenigkeit, sich gegen die Unterdrückung durch das Gaddafi-Regime zu wehren", sagt sie heute. Dass es jetzt schlimm ist, mache, was vorher war, nicht weniger schlimm.

Hana al Gallal war eine der führenden Trägerinnen der libyschen Revolution. Bevor sich Milizen formierten, waren es unbewaffnete Frauen wie sie, die im Februar 2011 in Bengasi schweigend am Platz vor dem alten Gericht mit Fotos von verschollenen Häftlingen Aufstellung nahmen. "Wir hatten immer Hoffnung", betont sie. "Auch jetzt. Wie sollte man sonst weiter leben?" Um Hoffnung sei es ja auch 2011 gegangen, vorrangig. Die jetzt zu verlieren wäre das eigentliche Scheitern ihre Revolution. "Was uns am meisten schmerzte in den Jahren vor dem Aufstand", sagte mir Hana, als ich sie in den Tagen der Revolution in Libyen kennenlernte, "das war, wie ihr uns behandelt habt. Auch ihr Journalisten. Wir, die ganz normalen Libyer, waren Objekte, keine Subjekte. Und ihr habt Euch mit PR-Pressereisen des Regimes abspeisen lassen, ohne nach uns zu fragen."

Wenige Monate vor der Revolution hatte sie sich, damals 41 Jahre alt, von ihrem Mann scheiden lassen. Ohne ihre Brüder oder den Vater vorzuschicken, wie es im stockkonservativen Bengasi eigentlich üblich war. Sie lebte danach als eine der ganz wenigen Frauen als Alleinerzieherin mit ihren beiden Söhnen. "Es kann keine politische Befreiung geben ohne eine private. - Und auch genauso wenig geht das umgekehrt." Auch das sagte sie mir damals. Und darum, um diesen doppelten Befreiungsschlag, ging es ihr 2011. Ein Subjekt zu werden, eine sprechende Rolle in der eigenen Geschichte zu bekommen.

Service

Buch, Petra Ramsauer, "Die Dschihad-Generation. Wie der apokalyptische Kult des Islamischen Staats Europa bedroht", Verlag Styria

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Komponist/Komponistin: Traditional
Album: SIF SAFA: NEW MUSIC FROM THE MIDDLE EAST
Titel: Ghallo tara
Anderssprachiger Titel: They said you'll see
Solist/Solistin: Hamdi Ahmed /Gesang m.Begl.
Länge: 02:00 min
Label: EMI 8322552

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