Gedanken für den Tag

von Johnny M. Bertl, Musiker. "Dunkelgrau und zartbitter" - Gedanken zum 70. Geburtstag von Ludwig Hirsch. Gestaltung: Alexandra Mantler

Moralische Schönheit

Die letzten 32 Jahre hab ich als Schutzengel gearbeitet. Ja, als musikalischer Schutzengel des Sängers und Schauspielers Ludwig Hirsch. Als sein musikalischer Schutzengel beschützte ich nicht sein Leben, sondern seine Musik. Seine eigene, selbstkomponierte Musik, die habe ich beschützt. Aber wovor? Vor schlechtem Geschmack. Es kann nämlich leicht passieren, dass ein neu komponiertes Lied beim musikalischen Verpacken für den Markt in schlechten Geschmack gehüllt wird, und das sollte ich verhindern.

Ludwig Hirsch war fest davon überzeugt, dass man über Geschmack nicht streiten kann. Denn guter Geschmack erkennt Schönes, sagte er. Und Schönheit ist eine über allem stehende Größe, die nicht verhandelbar ist. Schönheit entsteht auch nicht erst im Auge des Betrachters, sie ist nicht von dessen Gunst abhängig, sie braucht keine Quote.

Die Büste der Nofretete aus dem Jahre 1500 v. Chr. etwa gilt als Inbegriff formvollendeter Schönheit. Natürlich können Sie sagen, mir gefällt sie nicht, ich kann damit gar nichts anfangen, ist Ihr gutes Recht. Ändert aber nichts daran, dass sie schön ist, die Nofretete.

Und genau solch eine unverhandelbare Schönheit besitzen die Liedtexte von Ludwig Hirsch. Sie sind von einer inneren Schönheit, einer, man könnte sagen, moralischen Schönheit. Sie handeln von Menschen am Rande der Gesellschaft, von Schattengewächsen, Pechvögeln, von Hilflosen. Der Autor gibt ihnen Namen: "der Zwerg", "der Wolf", "der Dorftrottel". Fantasievoll beschreibt er diese Außenseiter und nimmt dabei schonungslos unsere Gesellschaft aufs Korn. Jämmerlich lässt er sie aussehen im Umgang mit seinen schutzbedürftigen Figuren.

Er tut dies aber leise, ohne Zeigefinger und ohne Parolen. Mit seiner dunklen, einschmeichelnden Stimme fordert er unermüdlich Toleranz, Freiheit und Gewaltlosigkeit. Und in diesem Sinne ist der Gedanke, den ich Ihnen heute gerne mit in den Tag geben möchte, von ihm inspiriert: Es gibt eine Schönheit, die von höherer Instanz ist, eine äußere und eine innere. Hirsch spürte sie auf und verteidigte sie.

Service

Buch, Andy Zahradnik, Cornelia Köndgen, Johnny M. Bertl, "I lieg am Ruckn. Erinnerungen an Ludwig Hirsch", Verlag Ueberreuter

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Sendereihe

Gestaltung

Playlist

Titel: GFT 160215 Gedanken für den Tag / Johnny M. Bertl
Länge: 03:49 min

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