Radiokolleg - Fremdbestimmt und ausgebeutet

Gesichter der Sklaverei (2). Gestaltung: Ute Maurnböck

Schon vor tausenden von Jahren schufen entrechtete Menschen den Wohlstand Ägyptens, Griechenlands oder Roms. Der Sklavenhandel im Hochmittelalter erstreckte sich über einen Großteil Europas, von wo Menschen in den islamisch-arabischen Raum verschleppt wurden. Mit Abermillionen Opfern, wie später im transatlantische Sklavenhandel bis 1860.

Hinter Versklavung steckte - abgesehen von den wirtschaftlichen Interessen - immer auch Macht. Oft ging sie einher mit Rassismus. Eine Kaste wurde geschaffen, eine gesellschaftliche Schicht ohne Rechte.

Und heute? Heute ist die Sklaverei offiziell verboten und es gibt mehr Menschen in Schuldknechtschaft und sklavenähnlichen Verhältnissen als je zuvor. Sie beginnt dort, wo die Wirtschaft langsamer als die Bevölkerung wächst, wo Katastrophen passieren, wo Staaten die Rechte der Menschen nicht schützen oder wo viele Arme auf ein besseres Leben woanders hoffen. Heute bilden die ausgebeuteten Menschen keine eigene, offen entrechtete Gesellschaftsschicht mehr. Heute verschwinden Frauen in Bordellen, Kinder in Soldatencamps, Männer auf Großbaustellen. 150 Milliarden Dollar sollen es sein, die von über 30 Millionen versklavten Menschen jährlich erarbeitet werden. Offiziell ist niemand haftbar, denn anders als in den historischen Formen der Sklaverei, gehören sie rechtlich keiner Person. Ihr Leben ist aber genauso fremdbestimmt. Sie müssen Sexarbeit leisten oder in Fabriken schuften, den Pass abgeben und haben keinen Zugang zu Bildung, Geld oder gesundheitlicher Versorgung.

Über ein Viertel der entrechteten Menschen sind Kinder. Sie werden verschleppt oder von den Eltern an Schlepper verkauft: manchmal gutgläubig, um dem Kind bessere Möglichkeiten zu bieten, manchmal mit dem Wissen, was die Kinder erwartet. Alternativen zur fremdbestimmten Knechtschaft gibt es oft nicht. Teenager, die aus der Sexsklaverei oder den Minen befreit werden, leiden Hunger, stehen ohne Netzwerke oder Familien auf der Straße.

Rechtlose Menschen leben wenig sichtbar auch mitten unter uns. In der Tourismusindustrie, im Baugewerbe, im Rotlichtmilieu.

Unser Alltag wird durch ihre Zwangsarbeit - wie einst der Reichtum in den antiken Hochkulturen - leistbar und bequem: hinter den Waren aus dem Online-Handel, dem Kakao am Frühstückstisch und der günstigen Kleidung stecken oft Menschen, die zur Arbeit gezwungen werden.

Das Radiokolleg fragt nach den Mechanismen, die hinter der Sklaverei stecken, zeichnet die Wege von Versklavten nach und zeigt, auf welche Weise ihr Leben und unsere Gesellschaft miteinander verbunden sind.

Service

Kevin Bales: Die neue Sklaverei ("Disposable People. New Slavery in the Global Economy"). Kunstmann Verlag, München 2001.
Kevin Bales: Understanding Global Slavery. A Reader. University of California Press, Berkeley 2005.
Kevin Bales mit Becky Cornell: Moderne Sklaverei ("Slavery today"). Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2008.
Kevin Bales: Ending slavery. How we free today's slaves. University of California Press 2007.
Kevin Bales: The slave next door. Human trafficking and slavery in America today. University of California Press 2009.
Kevin Bales: Blood and Earth. Modern Slavery, Ecocide, and the Secret to Saving the World. Spiegel & Grau 2016.
Lydia Cacho: Sklaverei. Im Inneren des Milliardengeschäfts Menschenhandel. Verlag Fischer 2011.
Laura Murphy: Survivors of Slavery. Modern-day Slave Narratives. Columbia University Press 2014.
E. Benjamin Skinner: Menschenhandel: Sklaverei im 21. Jahrhundert, Lübbe, 2008
Michael Zeuske: "Handbuch Geschichte Sklaverei. Eine Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart". Verlag de Gruyter 2013.
Michael Zeuske: "Sklavenhändler, Negreros und Atlantikkreolen. Eine Weltgeschichte des Sklavenhandels im Atlantischen Raum." Verlag de Gruyter 2015.
Lea Ackermann, Inge Bell, Barbara Kölner: "Verkauft, versklavt, zum Sex gezwungen - das große Geschäft mit der Ware Frau." München, Kösel Verlag, 2005.


NGO-Organisation "Free the Slaves"
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Interview mit Dr. Laura Murphy
slaveryfootprint.org
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